Bilder aus dem Photographischen Atelier


Von der Faszination, die von historischen Fotos ausgeht

Zu den heimatkundlichen Geschichten und Anekdoten, die ich hier auf meinen Seiten dem interessierten Leser unterbreite, gehören auch immer wieder Lebensgeschichten, Geschichten von Menschen, die nicht mehr unter uns weilen, dennoch Spuren hinterlassen haben. Umso aufschlussreicher ist da ein historisches Portrait-Foto von diesen. Sie ergänzen nicht nur das Geschriebene, auch die Gesichter sagen viel aus vom Schicksal und der Lebensweise der Menschen von gestern. Und das ist der Reiz, die alte Portrait-Fotos auf uns heute ausübt: 

Feldpost-Karte von 1918 "Gute Freunde"
Feldpost-Karte von 1918 "Gute Freunde"

Ich sehe dich

 

Ich halte ein Foto in der Hand,

vergilbt, verknittert, von der Zeit gezeichnet.

Doch ich erkenne dich,

dein Antlitz steht mir klar vor Augen.

 

Ich schaue auf ein Gesicht,

welches ich heute nicht mehr finde.  

Tausende, sind mir begegnet.

Ich habe sie angesehen, beurteilt und in Schubladen gesteckt.

Dich aber kenne ich nicht, bist mir unbekannt.

 

Doch ich weiß es:

Du weilst längst nicht mehr unter uns,

wandelst nicht mehr über unsere Fluren,

Du atmest nicht mehr,

siehst mich nicht und erkennst mich nicht.

Wir sind uns fremd,

aber ich kann lesen in diesem alten Foto.

 

Du bist mir nicht gleichgültig,

denn meine Neugierde wurde geweckt.

Wie haben sie dich gerufen?

Wo bist du geboren, wo aufgewachsen?

Wie war dein Leben, dein Schicksal?

Welche Menschen standen dir nahe,

waren wichtig für dich?

Wann, wie und wo verließest du unsere Welt?

 

Dein Leben hat Spuren hinterlassen:

Deine Falten, die Furchen im Gesicht,

deine Schwielen an den Händen,

der gekrümmte Rücken, deine Haltung:

Sie verraten dich, erzählen von deinem Leben,

vielleicht von deinem Schicksal,

zeugen von harter Arbeit, Entbehrungen.

Doch ich erkenne auch Stolz und Würde,

Scheu und Zurückhaltung, gar Schüchternheit.

 

Es war es dir wert ein paar Taler zu opfern,

dich auf den Weg zu machen. 

Doch ich ahne:

Dein Gang zum „Photographischen Atelier“,

ein kleines Abenteuer war es allzumal,

denn das was dich erwartete

war mysteriös und einschüchternd.

Apparaturen, die du erstmals zu Gesicht bekommen

und das ganze Prozedere bist alles „im Kasten“ war.

 

Was hat dich bewogen, dein bestes Sonntagskleid anzulegen?

War es Eitelkeit oder ein großes Bedürfnis:

Erinnerung an dein ICH zu schaffen? 


Wir blicken auf Gesichter, die es heute nicht mehr zu sehen gibt. Sie zeugen von harter Arbeit, Entbehrungen, Stolz und Würde, zeigen aber auch oft Scheu und Schüchternheit der Dargestellten. Man bedenke, dass in früherer Zeit der Gang zum „Photographischen Atelier“ ein Erlebnis war, zu dem man sich – auch aus finanzieller Rücksicht - nur selten begab.

Und ein solches Unternehmen war oft mit einer Reise in die nächst größere Stadt verbunden, denn nur dort befanden sich in den Anfängen der Fotografie die Ateliers. Schon das allein war ein Abenteuer für viele Landbewohner.

 

Das beste Sonntagskleid war angelegt, wenn man das Studio betrat und das, was einen erwartete, war mysteriös und ordentlich einschüchternd: Apparaturen, die man noch nie zu Gesicht bekommen hatte und dann das ganze Prozedere bis alles „im Kasten“ war.

 

Ich finde in meinem Archiv auch viele alte Aufnahmen, gemacht in Ateliers, die es schon lange nicht mehr gibt und deren Historie eine andere Seite der geschichtlichen Aufarbeitung darstellt. Da sind Einzelportraits, Fotos von frisch verehelichten oder -vermeintlich- greisen Ehepaaren und von Eltern mit ihren Kindern. Ein Blick in die Kindergesichter spricht Bände: Zwischen Neugierde, Erregung und Panik erahnt man, dass der Fotograf viel Geduld brauchte, um ein Foto ohne Verwackeln zu produzieren. Da ist mal ein Arm durch eine Bewegung verzerrt und vom Stuhl, auf dem ein kleines Mädchen mit weit aufgerissenen Augen „thront“, ergießt sich ein kleines Rinnsal. Ja, es war aufregend!

 

Die Frauen wurden oft sitzend dargestellt. Wie gütig und rücksichtsvoll! Waren sie es nicht, die in ihrem grauen Alltag nur zu selten diesen Vortritt erhielten, den besten und bequemsten Platz einzunehmen? Daneben postiert, in aufgerichteter oder erhabener Stellung posierend, der stolze Gatte, unverkennbar der Herr im Hause! Befremdend aus heutiger Sicht ist auch die Darstellung einiger Männer, die sich mit einer Zigarre in der Hand ablichten ließen. Was heute als Unding gilt war damals Statussymbol, ein Zeichen für einen gewissen Wohlstand: Die Nachwelt soll erfahren: „Ja, seht her, ich kann mir das leisten, mir geht es gut!“

 

Dann sind da noch die vielen Fotos der Soldaten, teils blutjunge Burschen, hineingesteckt in schneidige Uniformen, allzeit bereit für Volk und Vaterland in den Krieg zu ziehen. Und später sieht man sie wieder, die nicht mehr ganz so frischen Gesichter, umrahmt von Kameraden ihres Bataillons.

 

Bilder sind das eine, die Geschichte und das Schicksal derer, die uns heute noch aus teils vergilbten Fotos entgegensehen, das andere. Es gibt Liebhaber alter Alben, groß und schwer mit aus Messing versehenen Einfassungen. Der Blick hinein führt zu diesen namenlosen Gesichtern, von deren Mimik man fasziniert sein kann. Man möchte mehr von ihnen wissen, doch sie lassen uns allein mit unseren Fragen und Ahnungen.

 

„Was ist ihnen das wert?“ fragte mich vor Jahren ein Trödler, als ich interessiert in ein solches Album schaute. „Nichts!“, erwiderte ich dem erstaunten Mann. Es hat erst dann einen Wert, wenn Gesichter einen Namen bekommen, wenn eine Lebensgeschichte ihnen zugeschrieben werden kann. Nur dann wird das Ansinnen des Protagonisten Wirklichkeit: „Ich will, dass man sich an mich erinnert, wenn ich einst Geschichte bin.“

1918: Die Geschwister (v.l.:) Maria, Josef und Wilhelm Feldmann
1918: Die Geschwister (v.l.:) Maria, Josef und Wilhelm Feldmann
Heinrich Heymer (hint. 2.v.l.) mit seinen Kameraden im  1. Weltkrieg
Heinrich Heymer (hint. 2.v.l.) mit seinen Kameraden im 1. Weltkrieg

Die Portrait-Fotografie ist nur ein kleiner Ausschnitt vom großen Thema der „Historischen Fotografie“. Weitere faszinierende Felder sind die frühen Aufnahmen von Landschaften, Städten und Dörfern, aber im Besonderen Fotos, die Einblicke in das Leben und die Arbeit der Menschen von damals gestatten. Sie geben heute den Historikern wichtige Erkenntnisse über deren Alltag und lassen erkennen, wie sich auf vielen Ebenen im Laufe der Geschichte ein großer Wandel vollzogen hat.  

Bilder fesseln den Blick der Menschen mehr wie das schwarz auf weiß Gedruckte. So ist das Bild zum Text immer die richtige Wahl, um den Leser auf das zu fokussieren, was der Schreiber ihm vermitteln will.