18./19. Januar 2007: Der Orkan "Kyrill"


ERinnerungen zehn jahre danach

Für Waldbesitzer sind Witterungs- und Naturbedingungen, wie Frost, Hagel, Sturm oder Orkan, anhaltende Trockenheit, Insektenplage (Borkenkäfer) oder Pilzbefall nicht unbekannt und auch immer mit finanziellen Einbußen verbunden. „Kalamität“ nennt man diese Schäden, die als höhere Gewalt unvermeidbar sind. Das sind immer wieder auftretende Phänomene, oft räumlich begrenzt und überschaubar. Für diejenigen Menschen, die in der und für die Land- und Forstwirtschaft arbeiten, ist ständig bewusst, dass Ertrag oder Verlust immer abhängig ist von den Unbilden der Natur. Herbst- und Winterstürme gab es zu allen Zeiten, doch in den letzten Jahrzehnten häufen sich diese Naturereignisse und hinterlassen jeweils Millionenschäden, aber auch tragische Todesfälle sind zu beklagen.

Ich erinnere mich


An einem Spätnachmittag in den neunziger Jahren stehe ich mit meinem Vater vor unserem Haus in Sallinghausen und wir blicken aufwärts, spüren eine Unruhe in der Natur und eine aufkommende Bewegung in der Luft. Unser Tal wird umliegend begrenzt von Wäldern, meist mit Fichten bestanden, dem Brotbaum. Aber auch Bestände von Laubholz, meist Buchen und Eichen, sind noch vorhanden und beleben, besonders im Herbst mit ihrem bunten Blätterwerk die Landschaft ringsherum. Wir sehen hinauf auf die rasch vorbeiziehenden Wolkengebilde und ahnen, dass ein unangenehmes Wetter aufzieht. Ist es hier im Tal noch relativ ruhig, dort oben lassen aufkommende Windgeräusche und die Bewegungen der Baumspitzen erkennen, dass wir in den nächsten Stunden mit heftigem Sturm zu rechnen haben. Schon vernehmen wir mal hier, mal dort, ein ungewohntes Knacken. Fragend schaue ich meinen Vater an und sehe, wie er erstarrt. Unruhig erzählt er mir, dass er in seinem langen Leben bisher nur einmal dieses Geräusch gehört habe und das lasse nichts Gutes erahnen:

„Der Wald bricht“.


Und so war es dann auch. Nach einer unruhigen und stürmischen Nacht wurde es am nächsten Morgen offensichtlich. Nicht nur unser Gewächshaus war völlig zerstört und einige Schieferplatten waren vom Dach gefallen. Im Wald waren die Schäden teilweise gravierend: Drehwinde hatten auch stärkere Fichtenstämme wie mit einer riesigen Hand abgewrungen, das Holz gesplittert und in sich verdreht. Der Schaden ist besonders groß, weil der Stamm als Bauholz nicht mehr nutzbar ist. „Windbruch“ nennt man dieses Schadensereignis. Fichten sind Flachwurzler und da es seit Tagen geregnet hatte, war der Boden aufgeweicht, sodass der Sturm leichtes Spiel hatte. Viele Bäume wurden mit vollständigem Wurzelwerk tellerförmig umgeworfen, aus dem Boden gerissen. Die Forstleute nennen das „Windwurf“.
Trotz dieser partiell entstandenen Schadflächen und der Verlust von Einzelbäumen sind wir diesmal noch relativ glimpflich davon gekommen. Doch es sollte bald schlimmer kommen.

Wenige Tage nach dem Orkan Kyrill: Luftbilder nahe Schmallenberg
Wenige Tage nach dem Orkan Kyrill: Luftbilder nahe Schmallenberg


Eine eindeutige Wetterlage:   "Kyrill" kündigt sich an


Der Dezember 2006 war ungewöhnlich mild für die Jahreszeit. Die anhaltende warme Luftströmung, verbunden mit ständigen Niederschlägen, ließen Bäume und Sträucher austreiben, als sei der Frühling schon in greifbarer Nähe. Mitte Januar bildete sich über dem freien Atlantik ein Sturmtief, was rasch in Richtung Europa drängte und sich fortlaufend weiter verstärkte. Die Meteorologen gaben ihm den Namen „Kyrill“, erkannten schnell die Entwicklung der aufkommenden Wetterlage, sagten Orkan-Stärke voraus und gaben entsprechende Unwetterwarnungen heraus.

Am Morgen des 18.1.2007 erreichte „Kyrill“ die britischen Inseln und wenige Stunden später auch Westdeutschland, begleitet von ergiebigen Regenschauern. Ab Mittag gab es hier die ersten orkanartigen Böen, die an Heftigkeit rasch zunahmen. In den Gipfellagen wurden verbreitet Orkanböen von über 140 km/h erreicht. Nach einer trügerischen zwischenzeitlichen Beruhigung der Lage wegen Durchzug einer Kaltfront, drehte sich der Wind und führte zum Aufleben, gerade in den mittleren und nördlichen Gebieten Deutschlands, wo sich die volle Wucht des Orkans entlud. Das Sauerland wurde davon besonders stark betroffen.
In den darauf folgenden Stunden wütete der Orkan und walzte ganze Waldstücke nieder. Straßen wurden durch umgestürzte Bäume blockiert, die Stromversorgung unterbrochen. Viele Menschen wurden auf dem Heimweg von der Arbeit überrascht. Die Rettungskräfte waren stundenlang im Einsatz. Die Bauern konnten ihre Kühe nicht melken und waren darauf angewiesen, dass ihnen Strom-Aggregate zur Verfügung gestellt wurden. Unser Dorf wurde erst am Abend des 20. Januar wieder mit Strom versorgt.

Dieses Bild macht bewusst: Den Forstleuten stand eine überwältigende Arbeit bevor. Vorrange Aufgabe war die Räumung der Straßen und Wege.
Dieses Bild macht bewusst: Den Forstleuten stand eine überwältigende Arbeit bevor. Vorrange Aufgabe war die Räumung der Straßen und Wege.

Morgendämmerung


Am Morgen des 19. Januar dämmerte es auch den größten Optimisten. Der Blick hinüber in die zerschundenen Wälder war deprimierend. Dort wo am Vorabend noch schlanke Tannen zum Himmel ragten, klaffte jetzt eine ungewohnte Leere. Einzelne Bäume, die sich noch halten konnten, standen gekrümmt herum. Ein trostloser Anblick. Gerade die älteren Bestände waren betroffen, während die engstehenden jüngeren weitestgehend verschont wurden. Schnell war klar, dass enorme Schäden in ungewohntem Ausmaß entstanden waren und dass es Monate, vielleicht Jahre brauchte, diese zu beseitigen. Für Waldbesitzer und Forstbehörden begann an diesem Morgen eine Herkulesaufgabe, die nur mit solidarisches Handeln und Denken gemeistert werden konnte.


Alle Waldbesitzer waren mehr oder minder betroffen: Das Land NRW und die Städte, insbesondere Brilon, die Stadtwald im Eigentum besitzen. Im Hochsauerlandkreis aber ist der bäuerliche Privatwald vorherrschend. Es gibt kaum einen Bauernhof, der nicht neben der Landwirtschaft auch forstwirtschaftliche Nutzflächen bewirtschaftet. Der Wald galt immer als die „Sparkasse“ der Bauern, auf den man in finanziellen Notzeiten zurückgreifen konnte. Für diese hat Kyrill in einer Nacht das finanzielle Rückgrat vernichtet und den reinen Forstbetrieben im oberen Sauerland gar die Existenzgrundlage zerstört. Das hiesige Regionalforstamt startete sofort Überflüge um in grober Schätzung das verheerende Ausmaß der Schäden zu erfassen. So wurde schnell klar, dass eine schwierige und gefährliche Aufarbeitung (Holzwerbung) bevorstand, die nur von Fachleuten mit Spezialmaschinen, wie „Harvester“-Holzvollernter, bewältigt werden konnten. An Steilhängen würde der Einsatz von Winden erforderlich sein.

Insgesamt konnte von Anbeginn mit wesentlich höheren Kosten wie bei einer planmäßigen Holzwerbung gerechnet werden. Der enorme Schwierigkeitsgrat der Aufgabe war ein Grund. Es war aber auch dadurch begründet, weil die auf Holzaufarbeitung spezialisierten Unternehmen vor Ort das hohe Arbeitspotenzial nicht alleine bewerkstelligen konnten. So wurden Unternehmen und Arbeiter aus ganz Deutschland und dem angrenzenden Ausland hinzugezogen, die hier ihre gefährliche Arbeit gegen gut bezahlte Euros ausführten.


Anderseits führte der hohe Holzanfall zu einem Überangebot, den der Markt unvermittelt mit niedrigen Auszahlungspreisen beantwortete. Diese Preis-Kosten-Schere war nicht zu vermeiden, doch es galt dagegen zu wirken.



Die FBG:   Interessengemeinschaft ohne Solidarität?


Die größeren Forstbetriebe haben für ihr Holzangebot naturgemäß einen festen Abnehmerstamm an Sägewerkern, die nachhaltig ihren Bedarf an Nutzholz stillen. Anders ist das bei den vielen Kleinbetrieben, die ihre Interessen durch den Zusammenschluss in sog. Forstbetriebs-gemeinschaften (FBG) zu vertreten suchen.

 

Im Bereich der politischen Gemeinde Eslohe sind seit Jahrzehnten drei FBGs gegründet: FBG Eslohe (Eslohe und nähere Umgebung), Salwey und Reiste. Die Aufgabe und Zielsetzung der Interessenten ist die gemeinsame Vermarktung des Holzes durch Abschluss von sog. Rahmenverträgen mit den Sägewerken, gemeinsame Forstmaß-nahmen, wie Waldkalken, Schädlingsbekämpfung und Wegebau. Einige Maßnahmen werden durch Bund und Land gefördert und die Betreuung erfolgt in der Regel durch einen Revierförster als staatlicher Beamter der Höheren Forstbehörde. Deswegen beteiligen sich gerne auch größere Forstbetriebe an diesem Zusammenschluss.

Die Mitglieder zahlen über die FBG für die Leistung der Behörde einen Beitrag, das Holzverkaufsentgelt, welches nach der Menge des vermarkteten Holzes erhoben wird. Darüber hinaus zahlen die Mitglieder an die FBG einen Jahresbeitrag, bemessen an ihrem Flächenanteil.

 

Gerade jetzt


Eine FBG als  ihre Interessengemeinschaft, war angesichts dieser prekären und schwierigen Situation, wie sie sich nun darstellte, ein Hoffnungsträger für ihre Mitglieder. Sie sollten sich nun zu einer Solidargemeinschaft zusammenschweißen.  Denn Solidarität bedeutet: Als Gleichbetroffene zusammenstehen und gemeinsam nach Lösungs-möglichkeiten suchen, Vorteile wie auch Nachteile gemeinsam tragen.

 

Dazu waren jedoch nicht alle Mitglieder bereit. Gerade jene, die einen größeren Forstbetrieb vertreten, sahen ihren Vorteil darin, direkte Vermarktungsmöglichkeiten an der FBG vorbei zu suchen. Sie machten sich ihre guten Verbindungen zu den Sägewerken zunutze und schlossen bereits wenige Tage nach der Heimsuchung Kyrills eigene Kaufverträge mit diesen ab und beauftragten in aller Eile Holzwerber für die Aufarbeitung des Schadholzes. Die Nervosität war verständlich, glich die Situation doch einem Wettlauf, bei dem derjenige den größten Vorteil erwarten konnte, der am schnellsten vom Startblock wegkam.

Doch mit solidarischem Handeln hatte dieses Vorgehen wenig gemein. Und so kamen die Vorstände der FBGs in die schwierige Entscheid-ungslage, ob sie diese Mitglieder ganz oder nur vorübergehend aus ihrer Gemeinschaft ausschließen sollten.


Von Anfang an war klar, dass die FBGs ihren eigentlichen Aufgaben-bereich mit den nun an sie gestellten Aktivitäten überschreiten. Sie gliederten einen "wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb" an. Diese sollte nur vorübergehend, bis zur endgültigen Abwicklung der „Kyrill“- Problematik bestehen. Der Geschäftsbetrieb wurde durch denselben Vorstand vertreten und hatte den Auftrag, unter Einbindung des Revierförsters und und dessen Helfern,  sowie beratend von Juristen und Steuerberatern als Entlastung für den ehrenamtlichen Geschäftsführer, das Schadholz im jeweiligen FBG-Bezirk gemeinsam zu vermarkten und die Aufarbeitung zu koordinieren.

 

In der FBG Eslohe trat bereits in der sofort einberufenen Mitglieder-versammlung der nur kurze Zeit im Amt währende Vorsitzende zurück, weil er sich im Widerspruch zum Solidargedanken befand und für seinen eigenen Betrieb bessere und schnellere Vermarktungs-möglichkeiten wähnte.

Die Zeit der Entscheidungen und des Handelns

 

Verdient gemacht hat sich aber Hubert Mathweis aus Isingheim, der als ehemaliger Vorsitzender der FBG Eslohe wieder sein Amt aufnahm und in der Folge zusammen mit seinen aktiven Vorstandskollegen einen hervorragenden, aber Nerven zermürbenden Job machte.
Ich aber war in meiner Person nicht nur betroffener Waldbauer und als solches Mitglied der FBG, der wie alle anderen Interessenten, an der gemeinsamen Vermarktung und Aufarbeitung der Schäden angewiesen war. Als Leiter eines Landwirtschaftlichen Buch- und Steuerberatungsbüros war mein fachlicher Rat in dieser Situation gefragt, zumal einige Vorstände der hiesigen FBGs wie auch eine große Anzahl betroffener Mitglieder zu meinen Mandanten zählen. Es galt in erster Linie, eine Vertragsform zwischen dem Geschäftsbetrieb und den jeweiligen Mitgliedern zu finden, die den Rahmen und den Umfang des Auftrags definiert. Ich sah in meiner Teilnahme an den stattfindenden Besprechungen der Vorstände nicht nur meine Beratungsfunktion. Ich spürte, dass es in dieser schwierigen Situation auch eine psychologische und aufbauende Wirkung auf die belasteten Mitglieder der Vorstände hatte. Auch die regelmäßige Teilnahme der hauptamtlichen Forstbeamten, insbesondere Herr Piontek in Eslohe und Frau Messerschmidt in Remblinghausen, die in dieser Zeit hervorragende Arbeit leisteten, trug dazu bei und wurde als ein Stück Sicherheit empfunden.


Die Wege sind freigeräumt, die Aufarbeitung des Sturmholzes kann beginnen. Der Anblick des zerstörten und zerschundenen Waldes schmerzt den Waldbesitzer bis ins Mark. Es  wurde nicht nur Kapital  vernichtet. Emotionen, wie Wut, Fassungslosigkeit und Trauer sind da nur natürlich und verständlich.



Ein Konzept muss her


Die FBG für den Bezirk Calle (Stadt Meschede) und deren steuerlicher Berater strebten eine Vorreiter- und Vorbildfunktion mit Hilfe des Finanzamtes und der Forstbehörde an, indem diese von ihren Mitgliedern sämtliches Schadholz „auf dem Stock“, d.h. im vorhandenen Zustand stehendes, nicht aufgearbeitetes Holz zu einem im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unbekannten Kaufpreis erwirbt. Das Holz sollte in der Folge auf Kosten der Gemeinschaft aufarbeitet und vermarktet werden. Die Mitglieder erhielten Abschläge, deren Zahlungszeitpunkt und Höhe davon abhängig waren, wie sich die finanzielle Situation des Geschäftsbetriebes darstellte. Jedes Mitglied konnte sicher sein, dass sein Holz einen Abnehmer fand, egal wann die Aufarbeitung seines Holzes stattfand und welcher Verkaufspreis für dieses erzielt wurde. Die Verkaufserlöse wurden nach Holzklassen gemittelt, d.h. jedes Mitglied erhielt denselben Durchschnittspreis vergütet, nach Abzug der ebenfalls gemittelten Holzwerbungskosten, egal wie schwierig die Aufarbeitung war und nicht abhängig davon war, wie teuer diese für den einzelnen Mitgliedsbetrieb wurde.


Da sich in den von mir betreuten Forstbetriebsgemeinschaften schnell abzeichnete, dass zwar eine gemeinsame Vermarktung angestrebt war, jedoch die Kosten der Aufarbeitung in den Händen der einzelnen Mitglieder verbleiben sollte, wurde ein Kompromiss gefunden, und zwar in der Weise, dass die FBG vertraglich jedem Mitglied den Aufkauf seines Schadholzes zusicherte. Der Besitzübergang sollte jedoch anders wie bei der Vorbild-FBG Calle „frei Weg“ erfolgen, d.h. Zug um Zug nach erfolgter Aufarbeitung des Holzes. Das Mitglied selber hatte somit die freie Wahl, die Aufarbeitung selbst durchzuführen oder von einem Fremdwerber, koordiniert durch die FBG, durchführen zu lassen. Auch fand man mehr Gerechtigkeit darin, dass Mitglieder mit günstigen Geländebedingungen nicht die Kosten der Aufarbeitung an schwierigen Hanglagen, die einen ungleich höheren Aufwand und Kosten erforderten, mittragen. Man könnte dieses Vorgehen auch mit „Teilsolidarität“ bezeichnen. Der Unterschied gegenüber Calle bestand nun darin, dass nach Abschluss der Aufarbeitungs- und Vermarktungs-maßnahmen nicht der durchschnittliche erzielte Reinerlös aller Holzverkäufe an die Sägewerke zur Auszahlung kam, sondern der durchschnittliche Verkaufspreis jeweils nach Sortimenten und Holzklassen.


Schadensbeseitigung mit Blick auf die Zukunft


Da die Aufarbeitung überwiegend nicht in den Händen der einzelnen Mitglieder lag, wurde der Einsatz der Werbungsfirmen mit ihrem Gerät durch die FBG koordiniert und abgesprochen. Der Druck der einzelnen Mitglieder ließ bis auf Ausnahmen nach, als wahrnehmbar wurde, dass die Arbeiten stetig und systematisch durchgeführt wurden.


Schon bald, bereits vor Abschluss der Maßnahmen, wurde die Wiederaufforstung der Schadensflächen thematisiert. Die öffentliche Hand stellte ein Beihilfe-Programm auf die Füße, die eine Wiederaufforstung mit weniger sturmgefährdeten Holzarten fördern sollte. Auch wurde die Aufforstung mit Laubhölzern dem Nadelholz gegenüber favorisiert. Die Preise für Forstpflanzen stiegen in der Folge erheblich und auch die Vorbereitung der Waldflächen war kostenintensiv, sodass das Thema „Naturverjüngung“ einen Raum fand. Da eine gesetzliche Eingrenzung fehlte, nutzten viele Waldbesitzer die Situation und wandelten die Flächen von Wald in Sonderkultur, durch Anpflanzung von Weihnachtsbäumen.


Wohin mit dem Holz?

Vermarktung, Transport und Lagerung


Ein weiteres Feld der Aufgabenbewältigung durch die FBGs war die Vermarktung des Schadholzes. Neue Firmen traten auf, die vorher nicht als Abnehmer erschienen und deren Vertragstreue nicht bekannt war. Dazu gehörte ein im Aufbau befindliches Sägewerk aus Thüringen, das insbesondere Abschnitte und minderwertige Sortimente für die Herstellung von Paletten aufkaufte. Der Preis war günstig und auf Vorrat gedacht, kaufte dieses Unternehmen bis zum Rande ihrer Zahlungsfähigkeit große Mengen Schadholz auf. Zwischenzeitlich erschien deren Geschäftsführer zur Vertrauensbildung in FBG-Mitgliederversammlungen, brachte einen Scheck mit, stellte sich und sein zukunftsorientiertes Unternehmen den in Zweifel geratenen Mitgliedern vor und lud Interessierte zur Werksbesichtigung ein. Er hielt seine Versprechen zur Genugtuung aller Beteiligten.
In dieser Zeit war es ein gewohntes Bild auf unseren Straßen: Schwer beladene Holztransporter mit Kennzeichen aus dem gesamten Bundesgebiet lieferten große Mengen zu den auswärtigen Sägewerken. Am stillgelegten Bahnhof Wennemen wurden Gleise wieder aktiviert, um den Transport des Holzes über die Bahn zu gewährleisten.
Viel zu viel Holz kam in Kürze auf den Markt. Zwar zeigten sich auch heimische Sägewerker bereit, eine größere Menge „Kyrill“-Holz aufzukaufen, doch vielen fehlte die Möglichkeit der Lagerung. Besonders Fichtenholz ist nicht über einen größeren Zeitraum ohne Qualitätsverlust lagerfähig. Es verdirbt, verfault und wird stockig, wenn nicht geeignete Maßnahmen erfolgen, die eine Verlängerung der natürlichen Haltbarkeit bewirken. Deshalb wurden an günstig gelegenen Standorten mit behördlicher Genehmigung Nasslager-Plätze für die Rundholzlagerung eingerichtet. In Eslohe-Bremke richtete die dort ansässige Holzverarbeitungsfirma Baust unweit des Wenne-Flusses einen Lagerplatz ein. Über Monate wurde dort, insbesondere an regenarmen Tagen, das Holz durch Pumpen mit dem Flusswasser besprengt und so ständig feucht gehalten. Das Beregnen kann über mehrere Jahre hinweg eingelagertes Holz vor der Entwertung schützen, ist aber kostenintensiv. Auch deswegen konnte nach geraumer Zeit durch ständige Entnahme durch das Sägewerk das Nasslager aufgelöst, die Mengen ermittelt und endgültig abgerechnet werden.

Eine Alternative zum Nasslager ist die vorrübergehende Lagerung von Rundholz in einem Folienlager. Die FBGs hatten davon schon zu Beginn der Aufarbeitungsarbeiten mehrere Lager eingerichtet, da eine der Voraussetzungen der erfolgreichen Lagerung die Frische des eingelagerten Holzes ist. Und das war nur bei Rundholz gewährleistet, das in den ersten Wochen der Aufarbeitungsphase aus dem Wald entnommen wurde. Möglichst zweilagig wurde das Holz auf der Lagerfläche luftdicht in UV-beständige Polyäthylen Folie verpackt. Eine sorgfältige Handhabung musste erfolgen, damit ein Luftzutritt verhindert wurde und der natürliche Prozess wie Atmung und Gärung eintreten kann um den Sauerstoffgehalt unter der Folie praktisch gegen Null zu reduzieren. Eine ständige Kontrolle der Folie war unabdingbar, da zwar kleinere Beschädigungen mit Gewebeband reparabel sind, größere jedoch unweigerlich zur Aufgabe des Lagers und rascher Verarbeitung des Holzes führen.
Nach Auflösung der Folienlager konnte von unterschiedlicher Qualität des Holzes berichtet werden, doch ihre Anlage war effektiv und hat zum Erfolg der Vermarktung in nicht unerheblichem Maße beigetragen.



Abschluss und Resümee


Den Geschäftsführern, Christof Schmidt für die FBGs Eslohe und Reiste und Gerd Nieswand für die FBG Remblinghausen, war es vorbehalten, irgendwann einen Schlussstrich zu ziehen, abzurechnen, auszuzahlen und die Bücher zu schließen.  Damit beendeten sie ihre verantwortungsvolle  und arbeitsintenive Tätigkeit mit dem Bewusstsein, dass sie eine einmalige und hoffentlich nie wiederkehrende Aufgabe bewältigt hatten. Sie waren in dieser Zeit gereift an Erfahrungen in fachlicher Hinsicht. Doch was wesentlich in ihren Erinnerungen verblieb sind die gewonnenen erfreulichen , aber leider auch weniger erbauende Erkenntnisse über die Wesensvielfalt der ihnen begegneten Mitmenschen.


Auch wenn die politischen Gremien, voran die Verantwortlichen in den Ministerien für Land- und Forstwirtschaft und der Finanzen des Landes NRW, sich oft in ihren Entscheidungen schwer getan und nur zögerlich agierten, letztlich haben alle Wort gehalten. Die steuerlichen Entlastungen, die trotz Nichtanwendung des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes eingeräumt wurden, waren für die Betroffenen in dieser Situation hilfreich. Auch die Finanzbehörden vor Ort waren einsichtig und viele Einzelfall-Entscheidungen wurden unbürokratisch und bis auf wenige Ausnahmen praxisorientiert entschieden.

Den intensiven, aber auch Nerven aufreibenden Bemühungen aller Beteiligten in dieser schwierigen Zeit, ist es zu verdanken, dass die durch den Orkan „Kyrill“ entstandenen Schäden und die dadurch bedingten Umstände weitestgehend der Vergangenheit angehören. Dennoch sind die Auswirkungen heute noch spürbar. Seitdem besteht eine Verknappung des Holzmarktes, da vielerorts der Schaden so umfangreich war, dass auch zehn Jahre danach keine Ressourcen vorhanden sind, die eine Normalität im Verhältnis von Holzzuwachs und Holznutzung durch einen geordneten Einschlag ermöglichen. Positiv ist dabei, dass seit Jahren der Marktpreis für Nutzholz auf hohem und für den Waldbesitzer erfreulichen Niveau steht.


Die Natur hat sich schnell regeneriert und die durch Kyrill entstandenen Freiflächen zeigen heute eine Vegetation, die dem Wildbestand zuträglich ist. Auch die milden Winter der letzten Jahre sind der Grund einer teilweise drastischen Vermehrung, insbesondere bei Wildschweinen. Die durch sie verursachten Flurschäden zeugen von ihrem Ausmaß, dem die Jägerschaft nur schwer entgegentritt. Der Wanderer erfreut sich hier im Sauerland an der gewonnenen Fernsicht, die vor Kyrill noch von dichtem Waldbestand verstellt war.


Vergessen ist jedoch bei allen Beteiligten nicht, dass jene oft bis zur körperlichen und seelischen Erschöpfung einsatzbereit waren. Die in den Vorständen der FBG tätigen Mitglieder erbrachten ehrenamtlich und unentgeltlich Dienste für die Solidargemeinschaft, unter denen Mitglieder waren, die weder Dankbarkeit spürten, noch Anerkennung fanden und ihr Anspruchsdenken teilweise in perfider Weise zum Ausdruck brachten.


Nicht vergessen darf man die, Gott sei es gedankt, verhältnismäßig wenigen Todesfälle unter den Waldarbeitern. Sie ließen ihr Leben in Ausübung eines harten Jobs, der trotz Einsatz von hochtechnischem Gerät noch viele Gefahren birgt. 


Der Orkan „Kyrill“ hat uns gelehrt, dass die Natur nicht berechenbar ist, dass wir in deren Abhängigkeit stehen, da wir selbst ein Teil ihrer sind. Wir haben gelernt, dass nur mit solidarischem Handeln und Zusammenstehen Probleme gelöst werden können. Und wir haben gelernt, dass in solchen Situationen das Denken und Streben des Einzelnen hinter dem der Gemeinschaft zurückstehen muss.

 

Dieser Bericht wurde im Januar 2017 von mir erstellt in Erinnerung an eine auch für mich schwierige und belastende Zeit.

"Kyrill" und seine Folgen haben mich damals nicht nur in Ausübung meines Berufes, psychisch und physisch an meine Grenzen gebracht.

Wilhelm Feldmann


Zum Thema:   "Kyrill, 10 Jahre danach", empfehle ich folgenden Link: