Mein Weg Durch den Herbst


Vertraut ist er mir, wie ein guter Freund, doch ich trete ihn mit Füßen.  Mein Weg am Waldrand ist umhüllt vom frühmorgendlichen Dunst.Ich kenne ihn seit Kinderzeiten, bin ihn ungezählte Male gegangen.Jeder Stein, jede Furche ist mir vertraut. Sie sind wie Falten in einem Gesicht, machen ihn, meinen Weg, unverwechselbar. Sie zeugen von seinem Alter und einer bewegten Vergangenheit. Könnte er reden, er hätte manches zu erzählen. Auch von den Fuhrwerken, die ihm mit eisernen Rädern und den Hufen der Pferde Narben geschlagen haben. Wie viele Menschen haben ihn betreten, zur Arbeit, heim nach Hause, beim frohen Sonntagsspaziergang, in Hast und in Eile oder gemächlich, heiter oder in Gedanken versunken? 

 

Jetzt wirkt er düster, verlassen und vergessen. Es umsäumt ihn dichtes Gesträuch und die knorrigen, mächtigen Bäume bedrängen ihn mit ihren Ästen wie muskelstarke Arme. Tautropfen bedecken die Gräser, die seinen Boden bedecken. Es ist „Altweibersommer“. Überall Spinnenfäden, von Ast zu Ast, von Halm zu Halm gesponnen, gleich den Fäden, die in der Zeit unserer Ahnen am Spinnrad von „alten Weibern“ zu Garn versponnen wurden. Ein alter Koppelzaun. Gespenstig tauchen aus dem Nebelmeer seine Umrisse auf. Was er jetzt umzäunt und die dahinter liegende Weite ist schemenhaft, kann ich nur erahnen. Doch mein Weg führt mich auf eine Anhöhe, hinauf  wo es lichter wird.

Die Herbstsonne hat noch Kraft und löst den Dunst gemächlich auf. Ihre Strahlen dringen hinein und erhellen den angrenzenden Fichtenhain. Nebelschwaden durchziehen bald die vor mir liegende Weite, saugen nun endlich die Schatten der vergangenen Nacht aus den Talgründen hinaus in den hellen Tag hinein, bis grelles Sonnenlicht alles ringsum zum Strahlen bringt.

 

Es herrscht andächtige Stille über den Tälern da drunten, in denen wie Zuckerwatte noch der dichte Nebel liegt. Doch die herbstbunten Wälder liegen bereits im gleißenden Licht der Sonne. Ein Feuerwerk der Farben hat eine einzige frostharte Herbstnacht entfacht.

 

Glockenklang schallt hinauf zu mir. Sie rufen zum Kirchgang. Erntedankfest, ein uralter Brauch. Schon die Israeliten brachten ihre ersten Früchte vor Gott. Dank für die Fruchtbarkeit des Landes, Dank für eine ausreichende Ernte, denn ein langer Winter steht bevor. Früchte für die Nahrung von Mensch und Tier, Holz spendet die Wärme. Im Herbst zeigt sich ob die Natur milde gestimmt war, die Saaten aufgehen und gedeihen ließ. Angst oder Zuversicht, Leben oder Not, gar Tod.

 

Ein Jahr ist wie ein Leben. Nur die Altgewordenen haben Einsicht in die Kürze des Lebens. Ich atme tief ein, genieße diese Momente. Dann führt mich mein Weg heimwärts, hinunter ins Tal. Gedankenversunken tauche ich ein in dieses bunte Rauschen.

Bald schließt sich der Jahreskreis, der Winter kehrt ein in mein Dorf.