"das wasser steht uns bis zum halse"


Hochwasser im Sauerland

Wir leben im gelobten Lande, zu mindestens in Bezug auf Natur- und Umweltkatastrophen. Aus allen Gebieten unserer Mutter Erde kommend erfahren wir über die Medien Nachrichten über erschreckende Ereignisse, die tausende Menschenleben kosten: Verheerende Waldbrände, totbringende Wirbelstürme und Erdbeben mit einhergehenden Flutwellen,  Lawinengefahr, Vulkanausbrüche und Überschwemmungen größten Ausmaßes.

Die milden Winter in den letzten Jahren haben uns rasch vergessen lassen, dass in früherer Zeit mindestens einmal im Jahr große Wassermassen die Täler des niederschlagsreichen Sauerlandes aufsuchten. Dann war, wie der Norddeutsche lapidar sagt: "Land unter".

Im immer wiederkehrenden Jahreszyklus war dies nichts Ungewöhnliches.
Doch außergewöhnlich starke Fluten haben vor über einhundert Jahren unsere Heimat heimgesucht und besonders die Bewohner der Flußniederungen in Atem gehalten.

Binnen kürzester Zeit schwellten, so wird berichtet, auch sonst so kleine Rinnsale zu reißenden Wassermassen heran. Die Täler glichen einem einzigen großen See, aus denen vereinzelte Häuser wie Inseln herausragten.

Eine beängstigende Szenerie, die das alte Sprichwort bestätigt: „Dem Feuer kann man entlaufen, dem Wasser aber nicht“.


Die "Essel" ist über ihre Ufer getreten. Eslohes Hauptstraße unter Wasser. Foto um 1930
Die "Essel" ist über ihre Ufer getreten. Eslohes Hauptstraße unter Wasser. Foto um 1930

Im Rückblick auf das Jahr 1882 beklagt das Sauerländische Volksblatt: "Mit der alten Einteilung des Jahres stimmt es nicht mehr. Im Februar hatten wir wahre Sommertage, im April Gewitter und im Mai fror es fingerdickes Eis. Und im Juni, dass sich Gott erbarm, kalt und nass, wie sonst im November und April. Wenn der unsichtbare Komet das verschuldet haben sollte, so ist es gut, dass er der Sonne seinen Anstandsbesuch gemacht hat und nun in beschleunigtem Tempo auf der Rückreise begriffen ist."

Auch die folgenden Monate brachten ungewöhnlich ergiebige Regen-fälle, sodass mancher glauben mochte, das himmlische Regenfass sei gesprungen. Eine Hochflut folgte der anderen.

Pfarrer Johannes Dornseiffer
Pfarrer Johannes Dornseiffer

Der Esloher Pfarrer Johannes Dornseiffer erinnerte sich Jahre später noch an die schlimmen Märztage des Jahres 1888, "wo hier seit Menschen-gedenken die größte Wasserflut gewesen ist."

 

Ende Februar waren große Schneemassen gefallen. Dornseiffer, der in dieser Zeit noch von Eslohe aus die Filialen Salwey und Kückelheim mitbetreuen mußte, blieb am 4. März auf dem Fußweg nach Kückelheim im Schnee stecken.

Sallinghausen um 1980: Der Salweybach hat sich in einen See verwandelt.
Sallinghausen um 1980: Der Salweybach hat sich in einen See verwandelt.

Er berichtet: "Schon zur Rochuskapelle hinauf hatte ich mich total abgearbeitet." In der Marpe wurde ihm dann die Fahrt mit einem zweispännigen Schlitten ermöglicht. Drei Tage später stieg das Thermometer kräftig nach oben. Tauwetter stellt sich ein. Am 9. März folgten ergiebige und anhaltende Regenschauer.

Die Bachläufe schwellten zusehens an. In der Nacht vom 9. auf 10. März stieg das Wasser des Esselbaches so rasch an, dass Kühe, Schweine und Ziegen in größter Eile aus niedrigen Ställen heraus in Sicherheit gebracht werden mußten. Um ein Uhr des Nachts ließ der Nachtwächter sein schauerliches Horn ertönen. "Et Water spiält us Mester", war sein Ruf, was soviel bedeutet wie: Wir werden nicht mehr damit fertig, es wird uns über!

Das Wasser strömte über die Nepomukbrücke beim Spritzenhause. Mancher Schläfer wurde vom Wasser aus seinem Bett vertrieben, genässt von oben bis unten. Und auch manche Episode hat sich damals abgespielt.

Einer, der sein Vieh glücklich in Sicherheit gebracht, mußte bei seiner Rückkehr mit ansehen, dass ihm in der Haustüre "twei Brode, dai Schmaltdüppen (Schmalztopf), de Soltetrog (Pökelfaß) un dei Wiege" begegneten. Sein ganzer Hausrat war im Begriff, sich fortzumachen. "Verschiedene Bewohner", so schreibt Dornseiffer, "mußten eilig aus dem unteren in den zweiten Stock flüchten und am 10. März, morgens zwischen 10 und 11 Uhr, konnte man sehen, wie den Zweitgestockten per Leiter der Kaffee gereicht wurde; so im Beckerschen Hause, so auch oben an der Königstraße."Zum Glück sank bereits am gleichen Nachmittag das Wasser.

Doch zwei Jahre später kam es noch mächtiger, noch drohender zurück.

 

Zur Lebensgeschichte des sich für den Ort Eslohe verdient gemachten Pfarrer Johannes Dornseiffer ist eine eigene Homepage im Aufbau. Schau mal hinein:



Ein Retter vor dem nassen Tod


"Es regnet, was es regnen mag, er regnet seinen Lauf, und wenn es genug geregnet hat, dann hört es wieder auf."

 

Dieser schöne Trostspruch aus alter Zeit konnte im November des Jahres 1890 nicht über die Tatsache hinwegtrösten, dass bereits seit Wochen sintflutartige Niederschläge gefallen waren. Zusehens braute sich etwas zusammen, was am 25. November seinen Höhepunkt fand und später als die "Katharinenflut" in die Geschichte einging. An der alten Niederesloher Kapelle war auf einem Merkschild der unübertroffene Wasserstand dieses erschreckenden Hochwassers festgehalten.

Die Flut, eigentlich vorhersehbar, kam dennoch so unerwartet mächtig, dass einige Hausbewohner völlig überrascht zusehen mußten, wie das Vieh in ihren Ställen erbärmlich zugrundeging. Weiter talabwärts, insbesondere im Ruhrtal, herrschte höchste Not. Die von den Wassermassen arg bedrohten Stadtteile Arnsbergs wurden mit Pferd und Wagen durch Feuerwehr, Polizei und unerschrockenen Bürgern eiligst evakuiert. Not macht erfinderisch: Ein eiligst gezimmertes Floß kam bei einer selbstlosen Rettungsaktion zum Einsatz. Drei Arbeiterfamilien konnten somit von einem überfluteten Werksgelände geborgen werden.

Ob die Katharinenflut Menschenleben gekostet hat, ist dem Chronist nicht bekannt. Jedoch kann von mancher selbstlosen Rettungsaktion berichtet werden. So aus Sallinghausen.

Hochwasser in Sallinghausen um 1940: Im Vordergrund Nurks (Feldmanns) Schlacht
Hochwasser in Sallinghausen um 1940: Im Vordergrund Nurks (Feldmanns) Schlacht

Franz Schulte gnt. Eiken stand in seiner Wohnstube am Fenster und betrachtete fasziniert dieses Naturschauspiel. Der Salweybach war zu einem reißenden Fluß angeschwollen. In seinem braungefärbten brodelnden Wasser führte er allerlei Dinge mit, die er dem einst festen Land entrissen hatte: Bretter und Bohlen, Zaunpfähle, Kisten und vieles mehr. Plötzlich sah Schulte über Nurks Schlacht einen langen Stubben herunterschnellen. Er traute seinen Augen kaum. Umklammerte sich daran nicht ein menschlicher Arm?

Geistesgegenwärtig lief er aus dem Hause, riss den Feuerhaken vom Giebel und eilte, die Gefahr vergessend, an den Bach. Den Wettlauf mit den Wassermassen hatte er gewonnen. Doch wie sollte er den Stubben greifen? Weiter talabwärts drängte jedoch die Strömung den leblosen Körper ans Ufer, sodass Schulte ihn mit einem herzhaften Ruck an Land ziehen konnte. Es war noch nicht zu spät!

Nach einigen Wiederbelebungsversuchen war dem Retter doch der Erfolg beschieden. Dann erkannte er auch das völlig durchnäßte und frierende Geschöpf. Es war die beim Mühlenbesitzer Sternberg beschäftigte Dienstmagd, „ein Fräulein Klauke aus Wenholthausen, die später den Josef Eickhoff aus Niedereslohe ehelichte“ (Original-Text Heinrich Heymer) . Beim waghalsigen Versuch, am Bach eine Hose zu reinigen, hatte sie auf dem glitschigen Untergrund den Halt verloren und wurde mitgerissen.

Sie hatte Glück. Ein aufmerksamer und mutiger Retter konnte sie dem nassen Tod entreißen. Doch Jahrzehnte später, um 1955 und vermutlich an gleicher Stelle, wurde der tosende Bach einem kleinen Mädchen zum Verhängnis. Der drei Jahre alten Beate Sapp aus Sallinghausen konnte nicht mehr geholfen werden. Ihr lebloser Körper wurde an der sog. „Bußschlacht“, zwei bis drei Kilometer weiter, an der Wenne von herbeigeeilten Nachbarn geborgen. Gott sei es gedankt, dass in späterer Zeit kein weiteres Hochwasseropfer im Ort zu beklagen ist.