Die Norbertinerinnen


Ordensschwestern von Nurks Hof in Sallinghausen

Die Säkularisation

 

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts trat ein Wandel in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ein. Die Entstehung des bürgerlichen Selbstbewusstseins, die Neugestaltung der sozialen Ordnung und die Entwicklung der bürgerlichen Öffentlichkeit, wie wir sie heute kennen, gehörten zu diesem Umbruch. Während bisher Tradition, Sitte und Religion im Mittelpunkt des Lebens standen, wurde nun durch den Zeitgeist der Aufklärung die Forderung nach Vernunft, Kritik und Zweckmäßigkeit laut.


Die Entmachtung der Kirchen von ihrem weltlichen Einfluss durch die Säkularisation war eine zwangsläufige und überfällige Entwicklung. Im Jahre 1803 erfolgte in Westfalen die „Verweltlichung kirchlicher Besitztümer“ und wurde als ein entschiedener Schritt in Richtung Moderne dargestellt. Für den Einen „war dies die größte Katastrophe, die den deutschen Katholizismus je getroffen hat“ weil dieser jetzt eine protestantische Regierungsgewalt über eine katholische Bürgermehrheit sah. Ein Anderer schreibt 1828: „Mit der Säkularisation ist erst die Sonne aufgegangen über ein biederes, kräftiges, altdeutsches Volk, das in pfäffischem Schlummer begraben lag, und in dreifacher physischer, geistiger und bürgerlicher Dürftigkeit.“

Von der Säkularisation in den rechtsrheinischen Gebieten waren 1803 viele Besitztümer der Kirche, fürstbischöfliche Residenzen, aber auch landständische Klöster betroffen. Deren Grundbesitz wurde enteignet und fiel an weltliche Landesherren.

Klöster in Rumbeck und Oelinghausen

Die Klöster der Prämonstratenserinnen (auch nach ihrem Ordensgründer, dem Hl. Norbert von Xanten „Norbertinerinnen“ genannt) in Oelinghausen und Rumbeck standen unter Aufsicht des Propstes vom Kloster in Wedinghausen. Auch diese wurden im Zuge der Säkularisation aufgehoben.

Von dieser Entwicklung waren zwei Schwestern von Nurks Hof, die ältere und jüngere der Hoferbin Maria Margarethe Nurk, unmittelbar und spürbar betroffen, da diese als Laienschwestern in Oelinghausen und Rumbeck „eingekleidet“ waren:


Maria Elisabeth Nurk, geboren am 23. Oktober 1753

Maria Margaretha Nurk, geboren am 10. Februar 1765

 

In dieser Zeit war es durchaus üblich, dass auf Höfen geborene Männer und Frauen sich einem Orden verschrieben und ein gottgefälliges Leben hinter Klostermauern bis zu ihrem Tode verbrachten. Sie waren der Stolz ihrer Familie, der sie entstammten und in der christlich geprägten Gesellschaft genossen sie hohes Ansehen. Erst recht, wenn aus einer Familie ein Geistlicher, also Priester oder sogar ein höher gestellter kirchlicher Amtsträger hervorging.  In vielen Ordensgemeinschaften musste die Aufnahme mit einer Mitgift oder der Zahlung eines Eintrittsgeldes erkauft werden. Das aber beanspruchte nicht selten die finanzielle Kraft der Familie über Gebühr.



Maria Elisabeth Nurk


Sie war die älteste, von insgesamt drei Töchtern des Hoferben Jürgen Nurk und seiner Ehefrau Sybille, geborene Gierse aus Lüdingheim.

Beim Esloher Kirchenbau beteiligte sie sich 1778 mit einer Spende: „Elisabeth Nurk und deßen Elteren“. Da war sie 25 Jahre alt und trat vermutlich auch in dieser Zeit in den Orden der Norbertinerinnen ein.

Sie wurde als Laienschwester im Kloster zu Oelinghausen eingekleidet (Dornseiffer, Geschichtliches über Eslohe, Seite 145 „Ordensleute“)
Ihr Klostername war „Martha“ (Eintragung 1804: „Martha Nork, Laienschwester, 300 Fl. = Gulden)
Elisabeth wurde eingekleidet unter der Klostervorsteherin, Priorin M. Eleonora v. Greving, die bereits seit 1740 dem Orden angehörte.

 

Das Kloster, im 17. Jahrhundert umgewandelt in ein freiweltliches Damenstift, hatte in dieser Zeit einen guten Ruf, da dort „die Nonnen fromm und gottesfürchtig“ lebten. Nach der Absetzung der alten Priorin am 11.12.1789 änderte sich das aber schlagartig.

Die Klosterkirche in Oelinghausen (Foto aus Wikipedia)
Die Klosterkirche in Oelinghausen (Foto aus Wikipedia)

Nach der Ernennung der Chorjungfrau Maria Catharina Diez (Klostername: Cäcilia) zur neuen Priorin herrschte ein „freies, fröhliches, mit der geregelten Klosterzucht nicht zu vereinbarendes Leben“. Nach Tagebuchaufzeichnungen des Paters Ulrichs, Beichtvater der Schwestern in Oelinghausen, wird mehrfach so oder ähnlich überliefert: „Speisten in Convent Mittag und abend, machten uns lustig“ . Auch wurde das Klosterleben „durch unerquickliche Vorkommnisse getrübt“.
(siehe: „Cacilia Dietz – letzte Priorin in Oelinghausen [+ 1825] in „Zuflucht zwischen den Zeiten 1794-1803“)

Nonnenempore Kloster Oelinghausen, Foto von 1906 (Quelle: Wikipedia)
Nonnenempore Kloster Oelinghausen, Foto von 1906 (Quelle: Wikipedia)

Am 23. März 1804 erschien der Hofkammerrat Biggeleben als Bevollmächtigter der hessischen Regierung um die Aufhebung des Klosters ins Werk zu setzen. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Kloster aus 2 Ordenspriestern, 9 Chorschwestern, 1 Novizin und 8 Laienschwestern. Darunter befand sich auch Elisabeth Nurk. Ihr wurde als Laien-schwester eine Pension von 300 Gulden zugesprochen.

Allen wurde gestattet, entweder vorläufig noch im Kloster das gemeinsame Leben fortzusetzen oder außerhalb dessen ihre Pension zu verzehren. Bis zum 26.5.1804 blieb der ganze Konvent zusammen, dann wurde der gemeinsame Haushalt aufgelöst und jeder richtete sich selbst ein. Einzelne gaben allmählich das klösterliche Leben auf.

Am 26. und 27. Mai 1807 verließen alle übrigen, zwölf an der Zahl, das Kloster, um in ihre Familien zurückzukehren.

Die Laienschwester Martha kehrte heim als Elisabeth Nurk, 54 Jahre alt, zurück nach Sallinghausen in ihr Elternhaus, wo die Familie ihrer Schwester sie bereitwillig aufnahm.
Man kann nachvollziehen, dass für Elisabeth durch Auflösung des Klosters buchstäblich der Boden unter den Füßen gezogen wurde. Ihre einst getroffene Entscheidung, sich den Gesetzen des Ordens für alle Zeit zu unterwerfen (Profess auf Lebenszeit), wurde nun durch die Geschehnisse unfreiwillig rückgängig gemacht.

Die Mitglieder der alten Orden legen in der Regel nach dem Noviziat zunächst zeitliche Gelübde ab, die sie für einen begrenzten Zeitraum (meist drei Jahre) an die Gemeinschaft binden. Nach Ablauf dieser Zeit folgt dann die feierliche Profess auf Lebenszeit. Manchmal wird auch eine mehrmalige zeitliche Profess zugelassen, auf die anschließend gegebenenfalls die ewige Bindung folgt.

Ein Eintreten in ein anderes Kloster der Norbertinerinnen, z.B. nach Rumbeck, lag nahe. Doch war auch dieses von der Auflösung betroffen und die noch verbliebenen Nonnen, zu denen ihre Schwester Maria Margaretha zählte, waren dort auch nur noch geduldet. Vielleicht litt sie bereits an ihrer geschwächten Gesundheit und sie empfand Erleichterung bei dem Gedanken die kalten Klostermauern mit dem Haus ihrer Kindheit wechseln zu können.

 

Schon acht Jahre später, am 7. April 1815, starb Elisabeth in ihrem elterlichen Hause an der Wassersucht.

 

Zu bemerken ist dazu, dass ihr Schwager Johannes Wüllner, Ehemann ihrer Schwester (Erbin von Nurks Hof) vier Tage zuvor an Schwindsucht gestorben war. Innerhalb einer Woche gab es zwei Sterbefälle hier im Haus zu beklagen!

Maria Margaretha Nurk


Sie war die jüngste Tochter der Eheleute Jürgen und Sybille Nurk und ihr Lebensweg verlief ganz anders wie die ihrer Schwester Elisabeth.

Auch Margaretha war dem Orden der Norbertinerinnen beigetreten. Gerade 22 Jahre jung, wurde sie am 22.11.1787 im Kloster Rumbeck „gekleidet“. Das besagt, dass sie bereits zwei oder drei Jahre vorher als Novizin eingetreten war um das Ordensleben in Rumbeck erproben zu können. Da die Profess in der Regel zwei Jahre nach der Einkleidung abgelegt wurde, ist ihr Gelübde als Laienschwester im Jahre 1789 oder 1790 zu vermuten.

(Schreiben Fritz Timmermann, Assessor Jur, Rumbeck, vom 6.2.1990)


Eintragung im Einkleidungsbuch des Klosters in Rumbeck:

Laica (Laienschwester) Margaretha Nurk ex (aus) Salinghausen

babtizata (geboren) 10. Februarii 1765, vestita (gekleidet) 22. Novembris 1787


Das Klostergelände in Rumbeck, heute (Foto aus Wikipedia)
Das Klostergelände in Rumbeck, heute (Foto aus Wikipedia)

Margarethas Eintritt in das Kloster fällt ziemlich genau in die Zeit des Amtseintritts von Maria Franziska Peters, die bereits im Alter von 36 Jahren, am 26.3.1783, Priorin im Kloster Rumbeck wurde. Sie muss eine charismatische Frau gewesen sein und ihr Lebenswandel schien mustergültig. So zeigen es die hervorragenden Zeugnisse in den Visitationsberichten. Anders als in Oelinghausen wurde das Klosterleben unter ihrem Vorstand vollkommen im Sinne der Ordensregeln geführt.

Am 5.4.1804 erschien der Geheimrat Arndts, Bevollmächtigter der hessischen Regierung. M. Franziska Peters musste im Beisein aller Rumbecker Schwestern und Geistlichen zwar die Säkularisation des Klostergrundbesitzes hinnehmen, erreichte aber die Aufrechterhaltung des klösterlichen Lebens aller Rumbecker Schwestern „bis zu ihrem Aussterben“. Dafür wurden jedoch die Pensionen der elf Chorschwestern, einer Novizin und acht Laienschwestern auf die unterste Grenze der vorgesehenen Rahmenrichtlinien festgesetzt. Die Laienschwester Margaretha Nurk erhielt deshalb nur 200 Gulden.

Anders als in Oelinghausen, wo nach 1804 Lethargie die betroffenen Klosterfrauen erfasste, scheinen die in Rumbeck nach dem Motto „Jetzt erst recht!“ gehandelt zu haben. Wenn sie auch in strenger Klausur lebten, getreu ihren Ordensregeln, so öffneten sie sich „nach draußen“, indem sie sich in caritativer Hinsicht bemerkbar und unersetzlich machten. Damit erreichten sie eine gutwillige Stimmung und hohes Ansehen in der Öffentlichkeit. Ihre Daseinsberechtigung war gestärkt.

Steinkreuz auf dem ehemaligen Klostergeländer zur Erinnerung an die Priorin Peters
Steinkreuz auf dem ehemaligen Klostergeländer zur Erinnerung an die Priorin Peters

Das genügsame Leben der Schwestern erbrachte trotz der ihnen gezahlten geringen Pensionen ein kleines Sparguthaben, das auf Anregung der Priorin zu kirchlichen und sozialen Zwecken verwendet wurde. Sie und weitere vier Mitschwestern, dazu zählte M. Margaretha Nurk, schenkten der Rumbecker Kirche im Jahre 1820 rund 1365 Taler mit der Auflage, für ihr Seelenheil zu beten.

Außerdem gründeten die Nonnen den „Peterschen Armenfonds“ von 2700 Talern, der zunächst auf 3000 Taler anwuchs und dessen Zinsen von rund 100 Talern jährlich den „armen Schulkindern von Rumbeck, Oeventrop und Freienohl sowie den armen Gymnasiasten in Arnsberg und den armen Einwohnern von Rumbeck“ zugutekam.

Nach der Säkularisation im Jahr 1803 wurde das Gymnasium zunächst vorübergehend geschlossen. „Keiner der früheren Lehrer konnte sich entschließen, unter den ganz neu gestalteten Verhältnissen am Gymnasium zu bleiben: Einige suchten Anstellungen im Pfarramte, andere zogen es vor, sich mit der spärlichen Pension, welche ihnen als Klostergeistlichen nach dem Reichsdeputations-Hauptschlusse gezahlt werden musste, zurückzuziehen,“ schrieb der spätere Direktor Philipp Baaden in der Rückschau. Nach der Neueröffnung im selben Jahr wurde die Schule nun vollends eine staatliche Einrichtung.

Vom Peterschen Armenfonds profitierte offensichtlich der Neffe von Margaretha, der Sohn ihrer Schwester, der Hoferbin in Sallinghausen, Johannes Franz Wüllner, geb. am 27.11.1798. Bereits mit 18 Jahren, das war im Jahre 1816, trat er in Arnsberg in das „Königliche Gymnasium Laurentianum“ ein. Obwohl er in der untersten Klasse beginnen musste, legte er bereits nach vier Jahren sein Abitur ab und begann danach sein Universitätsstudium der klassischen Philologie.
Auf diese Weise eröffneten sich mit Unterstützung der Tante für diesen talentierten und aufstrebenden Dorfjungen unvorhersehbare Möglichkeiten einer geistigen Entwicklung. Er hatte jetzt, aus einfachen Verhältnissen stammend, eine nie zuvor gekannte und erahnte Zukunftsperspektive, die er zu nutzen wusste.

Ihr erfülltes und bewegtes Leben als Klosterfrau endete im Jahre 1853. Maria Margaretha Nurk starb im hohen Alter von 88 Jahren in Hachen, bei Sundern (Pfarrei Enkhausen).