Im Laufe eines Menschenlebens werden viele Wege beschritten.
Doch wenige bleiben in der Erinnerung so lebendig wie dieser: Der Weg zur Schule.
Kinder, deren Wohnstätte außerhalb ihres Schulortes gelegen ist, können da gut mitreden. Er war der Weg, den jeder gehen musste, allein, oft erstmals ohne den Schutz der Eltern, bestenfalls
jedoch in Begleitung von Schulkameraden. Auf Schusters Rappen, nicht wie heute mit dem Schulbus oder anderen Fahrgelegenheiten, ging es zur Schule.
Der Schulweg, die Erlebnisquelle
Ob in der heißen Mittagshitze, bei knietiefem Schnee oder strömenden Regen: Es galt als zumutbar, dass die Kinder, rücklings den mit Schiefertafel und Büchern beschwerten Ranzen, ihren Schulweg
bewältigten. Es hat sich niemand darüber beschwert, da man es nicht anders kannte. Die Erwachsenen muteten den Kindern früher lange Wege zu, da sie auch ausgedehnte Fußmärsche gewohnt waren und
einen Großteil ihrer Lebenszeit damit verbrachten, vom Wohnort zur Arbeitsstätte und zurück zu gelangen. Allmorgendlich nach der Stallarbeit machten sich die Frauen auf den Weg zur Frühmesse. Das
war eine Selbstverständlichkeit und Teil der Tagesplanung, andererseits aber auch einzige Gelegenheit neue Nachrichten zu erfahren oder kleine Besorgungen zu machen.
Ein ausgedehnter Schulweg hatte auch seine Vorteile. Er bot den Kindern die Möglichkeit zu Verabredungen. Auf dem Heimweg wurden die Erlebnisse des Schultages miteinander ausgetauscht, sei
es Freude oder Frust gewesen. Kleine Keilereien waren selten, meist harmloser Natur und von Beteiligten schnell vergessen, denn sie waren alle zum Zusammenhalt gezwungen. Der gemeinsame und oft
beschwerliche Schulweg schweißte sie zusammen, machte sie zu einer Gemeinschaft die nicht nur den Weg, auch ihre Erlebnisse miteinander teilte. Bücher würden sie füllen, brächte man diese
Geschichten aufs Papier. So wie diese aus einer Zeit, wo der Lehrer neben Pfarrer und Bürgermeister noch allgemein als respekteinflößende Persönlichkeiten galten.
Nicht jeder wurde diesem Anspruch gerecht. Solch einer Lehrkraft kam es einmal in den Sinn, einem Schüler aus Sallinghausen zuzumuten, jeden Schultag einen Eimer Kuhmist nach Eslohe zu schleppen.
Dünger für des Lehrers Garten. Da Widerspruch nicht üblich war, ließ der Schüler das eine Weile über sich ergehen, bis die Eltern davon erfuhren und dem Ganzen Einhalt geboten. Des Schülers
Notendurchschnitt soll sich danach merklich verschlechtert haben.
Die Bahn verbindet und verändert die Welt
Auch soll hier, stellvertretend für alle Schul- und Kirchwege, über den von Sallinghausen nach Eslohe berichtet werden. Es ist nicht der, den wir heute in der Streckenführung und im befestigten Zustand kennen. Beschrieben werden die Wegeverhältnisse vor Fertigstellung der Eisenbahnstrecke von Finnentrop nach Wennemen (Baubeginn: 1906 bis Fertigstellung 1911), denn unser Dorf Sallinghausen wurde durch den Bahnbau stark beansprucht.
Vieles in diesem engen Tal der Salwey war danach nicht mehr so wie zuvor. Heute wissen keine Bewohner unseres Dorfes von diesem alten Weg, obwohl Teile der früheren Wegeführung hinter dem Bahndamm jetzt noch sichtbar sind. Wilhelm Molitor, 1904 in Sallinghausen geboren und aufgewachsen, erinnert sich in seinen Aufzeichnungen daran, wie er in früherer Zeit war, der alte Schul- und Kirchweg nach Eslohe. Es sind seine frühen Kindheitserinnerungen und überliefertes Wissen, die ihn in seinen Aussagen gestützt haben. Danach verlief der Weg nicht wie jetzt durch das Tal, sondern viel näher am Waldrand entlang und mündete unterhalb der beim Bahnbau errichteten Hellebrücke auf die Landstraße von Niedereslohe in Richtung Sieperting. Diese Einmündung ist heute der Anfang des neuen Radweges nach Finnentrop. Der Weg war die einzige befahrbare Verbindung des Ortes nach Eslohe. Dort entlang befanden sich sieben Fußfälle, die den Kirchgänger in seinem Gebet auf die kirchliche Andacht einstimmten.
Eslohe war damals eine finanzschwache Gemeinde
Tiefgründig war der Weg in früherer Zeit und aus heutiger Sicht in äußerst schlechtem Zustand. Den Einwohnern von Sallinghausen war es dann auch im Jahre 1877 ein großes Anliegen, den Weg zu
erneuern. Es bestand bei dessen Nutzung Gefahr für Leib und Leben. Am 27.6.1877 vereinbarten sie deshalb untereinander, die Baukosten des Weges der zahlungsschwachen Gemeinde Eslohe zinslos
vorzufinanzieren, da ein Aufschub nicht mehr möglich erschien.
Bereits im August begannen die Bauarbeiten durch die Firma Caspar Hoffmann aus Niedersalwey und konnten rechtzeitig vor Wintereinbruch beendet werden. Erst sechs Jahre später erstattete die
Gemeindekasse die Gesamtbaukosten in Höhe von 1.795 Reichsmark.
Mal "Grüggelecke", mal ein schöner, stiller Winkel
Es bestand damals noch eine Abkürzung für den Fußgänger hinab durch das "Hunersnest", ein schmaler Waldpfad, der auf halber Strecke gegenüber einem heute nicht mehr sichtbaren alten Steinbruch
vom eigentlichen Weg abzweigte. Die Bezeichnung "Hunersnest" war nur den älteren Sallinghausern noch geläufig und beschreibt ein damals mit Buschwald und wilden Hecken bewachsenes Fleckchen Erde,
welches heute mit Wohnhäusern bebaut ist deren Bewohner dieses nun "Im Mühlental" bezeichnen.
Vor den Bahnbauarbeiten im Jahr 1909 führte der Pfad talwärts, dann entlang Mathweis Wiese, hinauf zum Niederesloher "Beil" wo er auch endete. Der befahrbare Teerweg, der heute über das "Beil"
führt, war das Endstück dieses Fußweges, der den Sallinghauser Schulkindern und Kirchgängern zwar als Abkürzung diente, jedoch in einem so holperigen und gefährlichen Zustand gewesen ist, dass er
im Winter nicht begangen werden konnte.
Das "Hunersnest" war nach mündlicher Überlieferung eine "Grüggelecke", also ein Ort, der den Schulkindern mindestens an dunklen Tageszeiten das Fürchten lernte. Im Frühling und an hellen
Sommertagen aber war er ein Paradies. Wilhelm Molitor muss das als Kind intensiv erlebt haben, denn er beschreibt die Natur am "Hunersnest" sehr emotional: "Da blühte der Schwarzdorn zuerst im
Verein mit Schlüsselblumen und Buschwindröschen. An feuchten Stellen blühten der rote Aronstab und das rotblaue Lungenkraut. Im Mai blühte der schöne Weißdorn und im Juni und Juli die Wildrosen
in großer Zahl, ebenso wie die Holundersträucher. Auf den Steinen sonnten sich an schönen Tagen Eidechsen und Blindschleichen. Für die Vögel bot die lange Hecke schöne Brutplätze."
Die Naturbeschreibungen setzen sich fort und enden in der Feststellung: "Es war ein schöner stiller Winkel unserer Heimat. Der Frühling kommt wieder, aber nicht der Pfad durch das "Hunersnest".
Der ist nur noch eine schöne Erinnerung." Der weitaus größte Teil des Waldpfades ist mit der heute vorhandenen Verbindungsstraße nach Eslohe 1909 überbaut worden.
Sallinghausen: Bei Hochwasser ein getrenntes Dorf
Innerorts war die Überquerung des Salweybaches nur mit Hilfe einer Fußbrücke möglich und Fuhrwerke mussten bis 1867 an seichter Stelle (Furt) den Bach durchfahren. Das war bei Hochwasser nicht
möglich. So mieden diese, von Eslohe kommend, den Weg nach Sallinghausen. Das Hochwasser trennte nun auch die Kinder des Dorfes. Die im Unterdorf wohnten, benutzten als Schulweg dann den heute
noch begehbaren schmalen Fußweg unterhalb vom "Rehenberg", entlang des Mühlenbaches, der durch das "Fischacker" nach Niedereslohe führt. Die anderen Kinder auf der anderen Seite des Flusslaufs
konnten weiter ihren gewohnten Weg zur Schule nehmen.
1862 stürzte die Fußbrücke über die Salwey ein. Die Einwohner glaubten, dass die Gemeinde Eslohe nun verpflichtet sei, ihnen eine neue Brücke zu bauen, nachdem sie schon längere Jahre für
Beiträge zum Bau neuer Kommunalwege stark in Anspruch genommen waren. Erst durch Bescheid der Königlichen Regierung in Arnsberg wurde die Gemeinde in die Pflicht genommen, den Bau einer neuen
Brücke in Auftrag zu geben. Das geschah nach vielseitigem Zögern im Mai 1866, wurde aber durch die Esloher Gemeindevertretung wegen der unsicheren Zeitverhältnisse nochmals aufgeschoben. Am
15.6.1866 brach der Krieg zwischen Preußen und dem Deutschen Bund unter Führung von Österreich aus, der dann für Preußen glorreich beendet wurde. Noch im selben Jahr entstand ein neuer Verding
(Ausschreibung), wobei der Maurermeister Pöttgen aus Meschede für 1089 Reichstaler den Zuschlag erhielt. Die Kranzsteine der neuen, befahrbaren Bogenbrücke wurden aus dem Beile bei Beisinghausen
und die Deckplatten aus der Arper Grube beschafft. Bereits ein Jahr später war die neue Brücke befahrbar, rechtzeitig fertiggestellt für Pferdefuhrwerke, die aus dem oberen Salweytal und dem
Marpetal kamen.
Deren Ziel war die 1871 eröffnete Bahnstrecke Arnsberg – Meschede mit den Bahnhöfen in Arnsberg und Meschede (1870/1871), Wennemen (1873) und Freienohl (1893). Erst im Januar 1911, hatte Eslohe
einen eigenen Bahnanschluss. Bis dahin war Sallinghausen täglich für mehr als zwanzig Fuhrwerke eine willkommene Abkürzung, um den Weg über Niedereslohe, Koblenz-Mindener Straße (der heutigen
Bundesstraße 55) über den gefahrvollen "Wennerstich" zu umgehen. Die Bogenbrücke wurde im zweiten Weltkrieg durch Panzer und schweres
Kriegsgerät so stark belastet, dass sie abgerissen und gänzlich wieder neu aufgebaut werden musste. Heute "ziert" an dieser Stelle die Betonbrücke den Ort und verbindet Ober- und Unterdorf über
den Salweybach.
Gefahren verantwortlich vermeiden
Zu jeder Zeit waren Wegeverbindungen für die Menschen von existenzieller Bedeutung. Immer waren sie nicht ohne Gefahr zu gehen und zu befahren. Auch heute nicht. Gerade die zunehmende technische Mobilität setzt eine hohe Priorität beim Straßen- und Wegebau für die Sicherheit der Menschen voraus. Das gilt erst recht, wenn es darum geht, Gefahr von unseren Kindern fern zu halten. Früher wie heute stehen aber nicht selten finanzielle Erwägungen im Vordergrund.