Auf Martini lohn für das ganze Jahr


Zwölf jahre magd auf einem Hof

Wenn es insbesondere den kleinen Betrieben hier im Sauerland nicht gut ging, waren die Lohnkosten für den Bauern ein arger Verdruss. Nach einer schlechten Ernte sahen nicht wenige einem Tag mit großer Sorge entgegen; dem Martinstag am 11. November.
Die landwirtschaftliche Winterschule in Fretter gibt im Jahre 1883 in ihrem Jahresbericht diese Situation treffend wieder: „Kommt Martini ins Land, dann müssen Knechte und Mägde ausgelöhnt werden. Steuern und Umlagen wollen berichtigt sein. Naturalzahlung ist nicht mehr angebracht, sonst könnte der Bauer einen Wagen Knüppel vorfahren; indes, Steuerempfänger und Rendant quittieren nur gegen Bar, gegen Preußisch Courant. Also Geld und überall Geld. Woher aber nehmen?"

Der Schultenhof um 1915: Hier arbeitete Karolina zwölf Jahre als Magd.
Der Schultenhof um 1915: Hier arbeitete Karolina zwölf Jahre als Magd.

Für die heidnischen Germanen begann das neue Jahr mit ihrem Herbstfest. Sie brachten ihrem Hauptgott Wodan Opfer dar. Die Kirche setzte später an diese Stelle das Fest des hl. Martin. Die im 18. Jahrhundert noch vielerorts bekannten Martinsfeuer lassen sich auf die germanischen Herbstfeuer zurück führen. Dieser Rest heidnischer Überlieferung in christlichem Gewand wurde nach und nach verboten und ist heute in unserer Heimat nicht mehr bekannt. Als Termintag für Zahlungen, Naturalabgaben und Dienstbotenwechsel, hat jedoch der Martinstag seine Bedeutung bis in die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts behalten. Mit Martini endete das Ackerbaujahr. Auch die Schäfer wechselten den Dienst, da die Weidezeit ihr Ende erreicht hatte.

Die junge Karolina Schulte sehnte jedoch den Martinstag des Jahres 1868 herbei. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen. Ihre Eltern ernährten die vielköpfige Familie mit dem, was sie auf ihrem kleinen Kotten an der Wenne erwirtschafteten. Ein unverzichtbares Zubrot brachte der Tagelohn-Einsatz der ganzen Familie auf den nahegelegenen Höfen in Wenholthausen, in der Mesmecke, auf Gut Wenne und in Sallinghausen. Karolina und ihre Geschwister wurden schon sehr früh in die Pflicht genommen und mussten zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Ihre Eltern waren dankbar, als Bauer Eberhard Eickhoff vom Schulten Hof in Sallinghausen ihnen anbot, Karolina als Magd zu sich zu nehmen.

Im Jahre 1820 in Sallinghausen geboren, hatte er den Schulten Hof von seinem Vater übernommen und mit Elan zu großer Blüte gebracht. Er genoss auch im öffentlichen Leben hohes Ansehen, war Kirchenvorstandmitglied der Esloher Pfarrgemeinde und Geschworener beim Schöffengericht in Arnsberg. Als Hauptmann der Schützenbruderschaft hatte Eickhoff sich durch langjährigen Einsatz Verdienste erworben. Zudem war er Vorstandsmitglied des Landwirtschaftlichen Lokalvereins Eslohe, der 1846 gegründet wurde. Seinem gewohnten Umgang mit Papier und Feder sowie seine redliche Wertschätzung, die er dem Gesinde entgegenbrachte, ist es zu danken, dass bis heute einiges Hofgeschichtliches aus dieser Zeit erhalten blieb. So auch die Kenntnis über einen „Mietvertrag", den er am 14. März 1868 mit den Eltern der Karolina Schulte schloss. Allein die Vertragsbezeichnung macht deutlich, dass die heute naheliegende Benennung „Arbeitsvertrag" damals ein Fremdwort war. Es wurde vereinbart, dass sie bis Martini 1869 einen baren Lohn von 22 Reichstalern sowie ein Kleid und ein Paar Schuhe erhält. Darüber hinaus werden zwei Metzen Leinsamen mit gesät. Für Weinkauf (Winkop) wurden sofort 1 Reichstaler und 16 Silbergroschen in bar ausgezahlt. Beim Dienstantritt erhielt Karolinas Mutter ein sogenanntes „Schüngelbrot".

Noch vergnügen sich die "Martinsgänse" im Salweybach: Sallinghausen 1953
Noch vergnügen sich die "Martinsgänse" im Salweybach: Sallinghausen 1953

Karolina fand sich auf dem Schultenhof gut zurecht, so dass ihr Brotherr den Kontrakt um ein Jahr bis Martini 1870 verlängerte. Den Fleiß seiner Magd belohnte er mit dem Vertragszusatz: ein Tag Mistfahren mit zwei Pferden für Karolinas Eltern. Fünf Jahre gingen ins Land. Am Martinstag 1874 erhielt sie von Eickhoff die Zusage, dass sie zusätzlich noch ein weiteres Paar Schuhe jährlich erhalten soll. Außerdem wird für sie ein Bleichstück Tuch mitgewebt. Von Martini 1875 bis 1877 wurde der Barlohn von 22 Talern auf 26 Taler erhöht. Alles andere blieb wie bisher. Bis Martini 1878 galt dieser Vertrag weiter, nur mit der Ausnahme, dass der Barlohn nicht mehr in 26 Reichstalern sondern in 78 Reichsmark ausgezahlt wurde. Das blieb so bei unveränderten Bedingungen bis Martini 1880.

Die letzte Eintragung des Eberhard Eickhoff auf dem Vertragspapier lautet wie folgt: „Karolina scheidet nach 12-jährigen, ausnahmsweise treuen Diensten aus, weil sie den Maurer Ferdinand Sternberg auf dem Beil in Niedereslohe heiratet." Als Hochzeitsgeschenk erhielt sie ein komplettes zweischläfriges Ehebett. ' Ihr Abschied vom Schultenhof und von den Sallinghausern fiel ihr nicht leicht. Deshalb pflegte sie auch weiterhin Kontakt mit den Nachbarn. Es gab kein Flachsjäten und -rupfen im Dorf, bei dem sie nicht dabei war. Auch mit den weiteren Verarbeitungsstufen wie Flachsstriepen, -rösten, -brechen, schwingen und zuguterletzt mit dem Spinnen war sie gut vertraut. Wenn sie für die Getreideernte bestellt wurde, kam sie nur, wenn sie eine Sense in die Hand nehmen durfte. Sie mähte und wetzte dann mit jedem Mann um die Wette.
Alljährlich, so ist überliefert, wurde die ganze Dorfjugend von ihr auf „Isidor", dem Niederesloher Patronatsfest, zum Nachmittagskaffee mit Bergen von Streuselkuchen eingeladen. Zum Abschied gab es Grießmehlpudding mit Himbeersaft. Kein Wunder, dass die Jugend sich das ganze Jahr auf diesen Tag freute.
Karolina Sternberg verlebte ihre letzten Lebensjahre bei ihrer Tochter Maria, die in Fretter verheiratet war. Im Jahre 1920 gaben ihr viele Sallinghauser dort das letzte Geleit.


Mein Hinweis:  Die Berichte "Knecht u. Mägde" und "Auf Martini Lohn .." wurden 1993 im Homert-Kurier, 2006 im Ardey-Verlag Münster "Bauern im südwestfälischen Bergland", Herausgeber: Westf. Schieferbergbau- und Heimatmuseum Holthausen e.V. und später im Landwirtschaftlichen Wochenblatt für Westfalen-Lippe veröffentlicht.