In Memoriam: Mein Vater Otto Feldmann 1921 - 2021


Auszüge aus der Hof- und Familienchronik

Im Familienbuch steht es geschrieben: Vor einhundert Jahren, am 13. Juni 1921, wurde unser Papa, Opa und Ur-Opa geboren. Auch wenn Opa Otto nicht mehr unter uns weilt - er starb am 1.11.2007 - so wollen wir in diesem historischen Moment unsere Gedanken zu ihm lenken. Diejenigen unter uns, die ihn kannten, mit ihm lebten, ja sein Leben ihm verdanken, werden ihn als einen liebens- und schätzenswerten Menschen, der er war,  in guter Erinnerung behalten und nie vergessen. 

 

Otto Antonius Feldmann wurde als fünftes Kind meiner Großeltern in Sallinghausen geboren. Er war ein gesunder Knabe und entwickelte sich zu einem lebhaften Dorfkind, oft ungestüm wie ein junges Fohlen auf Großvaters Weide, aber gleichsam sensibel in seiner Art. Die unbekümmerte Seite seines Wesens missfiel dem strengen Vater oft, doch die gütige Mutter hielt ihre schützende Hand über den Jungen. So entstand eine enge Bindung zwischen Mutter und Sohn, die sich in den Erzählungen meines Vaters immer wieder deutlich spiegelte. Früh lernte er, seine eigenen Bedürfnisse hintenanzustellen, denn es ging sehr sparsam zu im Hause Feldmann. So war es für ihn nur natürlich, die Kleidung der älteren Geschwister aufzutragen, auch wenn diese oft viel zu klein, die Ärmel zu kurz oder die Schuhe verschlissen waren. Er dachte sich nichts dabei. Es kümmerte ihn nicht, also litt er auch nicht daran. 

Otto wuchs sozusagen im Windschatten seiner älteren Geschwister auf, zu denen er ein unterschiedliches Verhältnis pflegte. Die Bindung zu seinem acht Jahre älteren Bruder Josef sah er später distanziert, die zum Bruder Wilhelm war herzlich, wohl weil sie sich in ihrer Art ähnlich waren. Beide fielen im Zweiten Weltkrieg in Russland. Alfons, der Drittälteste, war für ihn immer der Unerreichbare, der Ehrgeizige, derjenige welcher seines Vaters Vertrauen besaß. Aber das musste sich Otto hart erkämpfen.  

Gutmütigkeit war eine Eigenschaft, die meinen Vater menschlich auszeichnete. Aber es gab auf seinem Lebensweg auch Menschen, die das auszunutzen wussten. Diese Erfahrung musste er schon früh in der Esloher Volksschule machen, in die er zum 1. April 1927 eingeschult wurde. Wie seine Zeugnisse zeigen, war Otto Feldmann ein guter Schüler, dem stets gutes Betragen und Fleiß bescheinigt wurden. Irgendwann aber trug Lehrer Gilberg ihm auf, er solle doch jeden Morgen einen Eimer Pferdemist für des Lehrers eigenen Garten bringen. Gehorsam schleppte der Junge auf seinem Schulweg den Mist bis nach Eslohe bis es die Eltern gewahr wurden und dieser Zumutung ein Ende setzten. Schließlich gab es auch im Kirchdorf Eslohe genügend Mist für den Lehrkörper. Eine bittere Lebenserfahrung: Das Ganze hinterließ Spuren bei Vergabe der nächsten Zeugnisnoten!

 

Otto Feldmann (Foto um 1930)
Otto Feldmann (Foto um 1930)

Ende April 1935 wurde Otto aus der vierklassigen Kath. Volksschule mit einem guten Schul-Entlassungszeugnis mit den besten Wünschen für die Zukunft entlassen. Die Eltern trugen sich mit dem Gedanken, ihn für eine Lehre in der Gemeindeverwaltung zu begeistern und erhielten von ihrem Sohn wenig Zustimmung. Er verschwendete selbst keinen Gedanken daran, etwas anderes in seinem Leben zu bewegen, wie die Landwirtschaft. Er, der Naturbursche, liebte die Arbeit unter freiem Himmel, das Ackern mit den Pferden, der Duft von Heu auf den Wiesen, das Rauschen der Bäume im Wind. Undenkbar war für ihn, ständig am Schreibtisch zu sitzen und Papier und Akten zu wälzen. Seiner Schrift war anzusehen, wie ungelenk er im Umgang mit den filigranen Schreibutensilien war und auch das Handwerkliche war nie seine Sache. 

 

Da war es nur folgerichtig, dass er sich für zwei Winterhalbjahre in die Landwirtschaftsschule der Landesbauernschaft Westfalen mit Sitz in Eslohe einschreiben ließ. Die Unterklasse im Winterhalbjahr 1937/38 und die Oberklasse im Winterhalbjahr 1938/39 endeten jeweils mit guter Benotung und somit erfolgreich. Aus den Händen des Direktors Heinrich Remes erhielt Otto Feldmann am 24.03.1939 sein Abschlusszeugnis. Bereits einen Monat später unterzeichnete der Vater als gesetzlicher Vertreter für ihn den Lehrvertrag, zusammen mit dem künftigen Lehrherrn Fritz Romberg. Auf dessen 185 Hektar großen Betrieb in Mittelhausen bei Geseke begann nun für Otto die Ausbildung als Landwirtschaftslehrling, eine Lehre „auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Treue. Ziel ist ein beruflich tüchtiger, körperlich gesunder und fest im Nationalsozialismus stehender Nachwuchs“ (Originaltext im Lehrvertrag). 

 

 

Es war eine andere Welt, in die sich mein Vater nun begab. Dieser riesige Hof, auf dem etliche Mitarbeiter ihrer Arbeit nachgingen, hatte seine eigenen Regeln. Der Lehrherr setzte voraus, dass seine Leute Pünktlichkeit, Sauberkeit, Fleiß und Interesse an den Tag legten und die Benimmregeln im Umgang miteinander eingehalten wurden. Dazu gehörte auch das gemeinsame Essen zu Tisch mit Messer und Gabel, etwas was Otto nicht kannte. Vater erzählte später rückblickend, dass er diese Art des Speisens im Elternhaus nie gelernt hatte. In den ersten Tagen der Zeit als Eleve sei er aus Scham und Unbeholfenheit nicht satt geworden. 

Im sonntäglichen Outfit, vermutlich 1939
Im sonntäglichen Outfit, vermutlich 1939

Zuhause in Sallinghausen veränderte sich in den folgenden Monaten die Situation. Josef wurde zum Militärdienst eingezogen. Mit der Besetzung Polens durch die deutsche Armee im September 1939 begann der Krieg. Im Dezember wurde auch Wilhelm für den Kriegsdienst gerufen, was zur Folge hatte, dass Otto seine Lehrzeit in Mittelhausen abbrechen musste. Fritz Romberg, sein Lehrherr, stellte ihm zum Abschied am 13.12.1939 ein ordentliches Zeugnis aus: „Herr Otto Feldmann aus Sallinghausen, Kreis Meschede, war vom 1. April 1939 bis heute in meinem 740 Morgen großen landwirtschaftlichen Betrieb mit sehr intensivem Ackerlande und einer starken Rindvieh- und Schafzucht als Landwirtschaftslehrling tätig. Er hat sich in dieser Zeit in jeder Weise gut geführt und war uns in allem ein zuverlässiger und angenehmer Hausgenosse. Seine stärkste Seite lag auf ackerbaulichem Gebiet, für die Verwendung und Behandlung der Maschinen und Geräte hatte er viel Interesse und Verständnis. Den Arbeitern gegenüber war er bestimmt und gerecht. Seine Kenntnisse in der gesamten Viehwirtschaft und auch in der Buchführung hat er sehr schön erweitert. Herr Feldmann muss mir leider die Stelle vorzeitig verlassen, da sein Bruder zu den Fahnen gerufen ist und sein Vater keinen anderen Ersatz bekommen kann. Ich kann Herrn Feldmann bestens empfehlen und wünsche ihm für seine weitere Zukunft das Beste“. 

Im Frühjahr 1940 legte Otto Feldmann dennoch mit Erfolg seine Landwirtschaftsprüfung vor der Landesbauernschaft Westfalen ab. 

 

Froh wieder heimischen Boden unter den Füßen und vertraute Menschen um sich zu haben, unterstützte er nun seine Eltern tatkräftig, bis auch ihn „der Ruf zu den Fahnen“ ereilte. Wann er sein Bündel packte und den älteren Brüdern in den Krieg folgte, ist nicht bekannt, vermutlich ereignete sich das noch im Laufe des Jahres 1940. Die Feldpostbriefe lassen erkennen, dass Otto sich erst zur Ausbildung in Aachen und danach viele Monate im Kriegseinsatz in Norwegen aufgehalten hatte. Dort ereilten ihn 1941 auch die schlechten Nachrichten von Zuhause, dass die Brüder Josef und Wilhelm beim Russland-Feldzug gefallen waren. Besonders die Nachricht von Wilhelms Tod hatte ihn schwer getroffen, ja regelrecht krank gemacht.  Siehe dazu auch die Seite "Gefallen" , mein Aufsatz über die Geschehnisse und das Erleben meiner Familie im Zweiten Weltkrieg. 

Otto Feldmann: Ein Rindvieh-Züchter mit Erfolg


Anfang des Jahres 1953 übernahm mein Vater Otto die Bewirtschaftung des Hofes. Großvater hatte sich spät genug dazu entschlossen, "die Zügel aus der Hand zu geben", war er nun schon 77 Jahre alt. Er tat sich eigentlich nie schwer mit  der Erkenntnis, dass Wandel auch Fortschritt bedeutet. Das hatte er in dem zurückliegenden halben Jahrhundert bewiesen, hatte er den Hof ständig vergrößert, Gebäude errichtet und den Viehbestand erhöht. Doch die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg hatten ihn müde und misstrauisch gemacht. Viele Hoffnungen, die er an eine gute Zukunft hegte, hatten sich durch den "Heldentod" der beiden ältesten Söhne nicht erfüllt. Nun musste er Vertrauen fassen und seinem jüngeren Sohn, meinem Vater Otto, den Hof zu treuen Händen überlassen. 

In der Nachkriegszeit befand sich das Land im Neuaufbau. Die Wirtschaft, insbesondere die Industrie, hatte Vollbeschäftigung. Arbeitskräfte wurden gesucht und mit höheren Löhnen gelockt. Eine regelrechte Landflucht der Arbeiterschaft setzte ein und die Bauern wurden dadurch  gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, um die Arbeit auf den Höfen einzusparen. Dazu gehörte die  Anschaffung von Maschinen und landwirtschaftlichen Geräten.  Auch mein Vater sah sich vor diese Aufgabe gestellt und schaffte den ersten Ackerschlepper, zuerst in Maschinengemeinschaft mit dem Nachbarn, und weitere Ackergeräte an. Die Anschaffung einer elektrischen Melkmaschine folgte und erleichterte die Stallarbeit erheblich. Er sah aber auch die Notwendigkeit, die Milchproduktion zu erhöhen, was nur durch eine Auffrischung des Milchkuhbestandes zu erreichen war. 

Der Hanomag-Schlepper vom Typ R 22 wird von unserem letzten Landarbeiter auf dem Hof gefahren.
Der Hanomag-Schlepper vom Typ R 22 wird von unserem letzten Landarbeiter auf dem Hof gefahren.

Bereits im Juli 1955 kaufte er zwei tragende Rinder für 3.100 Mark zur Ergänzung des Bestandes. Er wurde Mitglied im Westfälischen Rinderstammbuch der Rotbundzüchter e.V. in Münster. Dr. Josef Mathweis, wohnhaft in Hiltrup und gebürtig aus Sallinghausen, war hier Tierzuchtleiter und inspirierte die Bauern in seiner Heimat, so auch meinen Vater, zur Zucht der rot-bunten Rinderrasse. Diese war ideal für das hängige Sauerland, da sich das „rahmige“ rot-bunte Rind als ein robustes und standfestes Weidetier mit guter Futterverwertung erwies. Für die damalige Zeit wurde sie als Milchleistungskuh gesehen, aber erfüllte ebenso die Ansprüche für die Weidemast. Sie war für eine Doppelnutzung gezüchtet. Das waren Gründe genug, sodass man in dieser Zeit vermehrt auch die Sallinghauser Bauern auf Zuchtvieh-Versteigerungen in der Halle Münsterland antraf. Hier erwarb Vater Rinder mit mehr oder weniger gutem Erfolg in der Nachzucht. Im Jahre 1958 erreichte ihn auch das Glück des Tüchtigen. Bei der Zuchtviehauktion in der „Bullenhalle“ in Meschede erzielte er für einen selbst aufgezogenen rotbunten Zuchtbullen 8.200 DM. Das war ein großer Erfolg für den aufstrebenden Züchter, der diese unerwartet hohe Summe sinnvoll verwenden konnte. Vater kaufte sein erstes Auto, einen gebrauchten OPEL-Rekord, grau mit roten Ledersitzen. Der Vorbesitzer war Seemer aus Wallen und die Firma Schneider in Wenholthausen vermittelte den Kauf. Meine Eltern ließen sodann auch eine Dachhälfte vom Wohnhaus neu eindecken. Auch konnten einige Fenster erneuert werden. 


Sichtbar stolz war Großvater über die Neuanschaffung: 1958 wurde das erste Auto angeschafft.
Sichtbar stolz war Großvater über die Neuanschaffung: 1958 wurde das erste Auto angeschafft.

Auf den Tierschauen in Reiste, aber auch manchmal in Meschede, war Vater mit seinen besten Schützlingen vertreten und oft erfolgreich. Dadurch machte er sich in den Kreisen der Züchter einen Namen und seine Leistungen fanden Beachtung. Dennoch musste er auch erfahren, dass Neid und Missgunst ihm von denen entgegenschlugen, die nicht einsehen konnten, dass ein Vertreter der kleinbäuerlichen Betriebe ihnen auch mal den Rang abläuft. So gingen einige Ehrenpreise, die ihm die Preisrichter auf den Tierschauen wegen seines guten Tiermaterials zusprachen, auf Feldmanns Hof: 

 

Auf der Kreistierschau in Reiste, die am 31.08.1960 stattfand, verliehen die Preisrichter für das Rind „Cora“ die silberne Medaille und brachte ein Set mit Bier-, Wein- und Likörgläser mit nach Hause. Im folgenden Jahr war er mit seinem Rind „Lupine“ erfolgreich. Diesmal ging ein neues Waffeleisen und eine Brotschneidemaschine nach Sallinghausen. Die Freude über den Erfolg war stets groß und so war es Vater dann auch vergönnt, in froher Bauernrunde das Glas zu erheben. Die Stallarbeit erledigte dann der Nachbar Alfred Fuchs, zusammen mit Mutter und später mit Hilfe der herangewachsenen Söhne. 

1962 machte ihm der Züchter Kotthoff aus Büenfeld den Preis streitig, doch schon im nächsten Jahr wendete sich erneut das Blatt. Mit „Lupine“ brachte Vater 60 Zentner Kalk mit nach Hause und auch 1964 kam er, dank „Lupine“ ein letztes Mal nicht mit leeren Händen: Ein schön geschnitzter Pflanzenübertopf zierte seitdem unser Wohnzimmer. Leider erkrankte „Lupine“, sodass Vater das Rind, mit dem er so erfolgreich gewesen war, schweren Herzens verkaufen musste. 

 

Höchste Anspannung und Nervosität konnte man Vater immer anmerken, wenn eine Versteigerung bevorstand und er seine Rinder und Bullen dort zur Körung vorstellen musste. Daran hing nicht nur sein persönlicher, auch der finanzielle Erfolg ab. Tiere, in der Körung als zuchtfähig anerkannt, bedeuteten einen nicht unwesentlichen Mehrwert. Tiere, die durchfielen, durften nach den strengen Regeln nicht zur Zucht verwendet werden. 

Bereits Wochen vor dem Körtermin wurden Rinder oder Bullen „vorbereitet“. Vater trainierte regelrecht mit ihnen und ließ sie an Halfter und Strick gewöhnen, indem er mit ihnen Spaziergänge machte. Die Bullen waren empfindliche Kostgänger und es wurde streng darauf geachtet, dass sie bestes Futter erhielten. Nicht selten litten diese an Koliken, d.h. Blähungen im Magen- und Darmtrakt. Hatten sie offensichtlich Krämpfe und Schmerzen, kannte Vater Mittel und Wege sie davon zu befreien. Doch manchmal war seine Kunst nicht ausreichend und die Hilfe eines Tierarztes wurde erforderlich. 


Mein Vater mit dem Rind "Lupine" auf der Tierschau in Reiste 1963 (links)
Mein Vater mit dem Rind "Lupine" auf der Tierschau in Reiste 1963 (links)

Auf der Tierschau in Reiste im August 1965 gab Dr. Strothmann vom Westf. Rinderstammbuch die Losung heraus: „Wir streben in der Rotbuntzucht ein Tier an, das im Jahr um 5000 Liter Milch bei 4 Prozent Fettgehalt erzielt“, ergänzte aber: „Es geht uns nicht allein um Hochleistungen, sondern auch um Wirtschaftlichkeit“ und bat die Züchter, dieses Ziel konsequent anzustreben und für diese Gegend nicht die Wege anderer Zuchtarten zu gehen: „Es war eine gute Tierschau. Sie wissen aber selbst, dass sie noch eine Menge Arbeit vor sich haben.“ 

Das Zuchtziel stand fest und stellte sich viele Jahre später nur als ein Zwischenziel heraus. Heute besteht ein genetisches Leistungspotenzial von 10.000 kg Milch bei 4,0 % Fett. Das Tier muss laufstallgerecht und mit einem für den Roboter gut melkbaren Euter ausgestattet sein. Eine hohe Fruchtbarkeit, aber dennoch Langlebigkeit wird vorausgesetzt. Für die Rindviehhalter in den sechziger Jahren war die Möglichkeit, eine solche „Wunderkuh“ heranzuzüchten, unvorstellbar und nicht im Bereich des Möglichen. Dennoch dürfen die heutigen Erkenntnisse nicht dazu führen, dass die Leistungen der Züchter von damals herabgewürdigt werden. Ganz im Gegenteil. 

 

Die Arbeit der Bauern, von denen die Mehrheit den ständigen Strukturwandel nicht überlebten, darf nicht vergessen sein. Sie schafften mit geschultem Auge und ihrer gewonnenen Erfahrung in der Rindviehzucht die Grundlage für die heutigen Zuchterfolge. Mein Vater, Otto Feldmann, war einer von ihnen. Er lernte früh, seine eigenen Tiere zu selektieren und erkannte, welches Tier das Potential hatte, dem anvisierten Zuchtziel zu entsprechen. Der Austausch mit anderen, gutwilligen Berufskollegen vor Ort, die sich auch der Zucht der Rotbunten verschrieben hatten, war vorbehaltslos. Zu nennen sind: Bürger in Bremscheid, Mathweis, Baust und Heymer in Sallinghausen und Meier in Niedereslohe. Diese Namen findet man in den Siegerlisten, die in den Heimatnachrichten der Tageszeitung jeweils nach einer Reister Tierschau veröffentlicht wurden. In den Sechzigern war „Sallinghausen die Kernzelle der Rotbuntzucht“; ein Ausspruch, der damals in diesem Zusammenhang fiel. 

 


Ehrenurkunde für das Rind "Cora" im Jahr 1960
Ehrenurkunde für das Rind "Cora" im Jahr 1960

Vaters Tiere standen eigentlich immer „im Lack“, lagen auf frischem Stroh und wurden sauber gehalten. Doch vor einer anstehenden Tierschau, Versteigerung oder Stallvorführung erhielten seine Vorzeigeobjekte eine besonders intensive Behandlung. Sie wurden gewaschen, geschoren und „manikürt“. Die Arbeit lohnte sich, denn potentielle Kaufinteressenten kamen Tage vor einer Versteigerungsaktion in unseren Stall, um sich einen Eindruck vom Tier und seinem Halter zu verschaffen. Wurden sie überzeugt, gehörten diese oft zu den Meistbietenden. 

 

Im Jahr 1964 war ein heißer trockener Sommer und im Herbst verkaufte Vater seine Bullen zu einem guten Preis. Besonders erfolgreich war er mit dem Jungbullen, den er „Lord“ genannt hatte und dessen Mutter eine Abstammung von einem Rind war, das er bei einer Versteigerung in Münster erworben hatte. „Lord“ war Sohn des rotbunten Zuchtbullen „Louis“, dessen Gene in Züchterkreisen geschätzt waren. 

Wie der Vater, so der Sohn! Otto Feldmann hatte einen erfolgversprechenden Bullen herangezüchtet. Das blieb nicht lange unbekannt. Besonders interessiert waren Vertreter der Zuchtgenossenschaft Serkenrode. Die nahmen das Prachtexemplar vor Ort in Augenschein und waren von dem was sie sahen ordentlich beeindruckt. Es folgte ihr Höchstgebot auf der Zuchtviehauktion in der „Bullenhalle“ in Meschede und sie erhielten den Zuschlag. Der Kaufpreis betrug 6.200 DM und war mehr als zufriedenstellend für meine Eltern. Das Geld hat ihnen geholfen, weitere Jahre auf dem Hof wirtschaftlich zu überstehen, denn die guten Zuchterfolge waren nicht von Dauer, wie sich später zeigen sollte. 

 

Vaters Zuchterfolg klang durch „Lord“ aber noch eine Zeit nach. Die Tageszeitungen berichteten zu den nachfolgenden Reister Tierschauen, wo die Serkenroder ihren Prachtbullen nun zur Schau stellten:

 

1965 schrieb die Westfalenpost: Jungbulle Louis-Sohn gefiel Preisrichtern – Hochwertiges Material auf Reister Markt:

„Mit Freude hat nun in Reiste das Preisgericht festgestellt, dass beim Auftrieb des männlichen Materials kaum ein Versager war. Vor allem imponierte die Klasse der älteren Bullen, die den Zuchtansprüchen und Zielen fast 100prozentig entsprachen. Auch die Klasse der zwei- bis dreijährigen Bullen zeigte bestes Zuchtmaterial. Besonders gefiel hier der Siegerbulle Louis-Sohn. Sein Wert liegt nicht zuletzt darin, dass er hier im Sauerland von Otto Feldmann aus Sallinghausen gezogen wurde (Besitzer Zuchtgenossenschaft Serkenrode). Der nur fast zweijährige Bulle erschien dem Preisgericht so wertvoll, dass er hier zum Siegerbullen erklärt wurde.“ 

Bei dieser Tierschau erzielte Vater in der Klasse der zweieinhalb- bis dreijährigen Rinder unverhofft mit „Lorette“ den 1a-Preis. Ihm wurde dafür eine Armbanduhr überreicht. Auch Mathweis und Heymer wurden für ihre Tiere mit Preisen belohnt. Dennoch schrieb Mutter in ihren Erinnerungen zum ausgehenden Jahr 1966: „Im Stall hatten wir weniger Glück: Zwei Mutterkälber wurden tot geboren und drei Kühe mussten wegen Verwerfens geschlachtet werden.“


Für mehrere Jahre erhielt Otto Feldmann (hier für 1967) für hervorragende Leistungen bei der Milcherzeugung Ehrenurkunden verliehen.
Für mehrere Jahre erhielt Otto Feldmann (hier für 1967) für hervorragende Leistungen bei der Milcherzeugung Ehrenurkunden verliehen.

1966 schrieb die Westfalenpost: Reiste: Der beste Bulle ist ein „Lord“

„Zwar sei die Zahl der in Reiste präsentierten Bullen geringer geworden – so Dr. Oeser -, dafür aber zeigten die ausgestellten Tiere ein schöneres Durchschnittsbild als in den Vorjahren. Siegerbulle wurde „Lord“ von der Zuchtgenossenschaft Serkenrode. Otto Feldmann (Sallinghausen) hat das Prachttier gezüchtet. „Lord“ soll 1967 in Oldenburg auf der Deutschen Rotbuntschau gezeigt werden.“

Vater war 1966 mit zwei Rindern auf der Bezirkstierschau in Reiste vertreten und erreichte in der Klasse der zwei- bis dreijährigen Rinder den ersten und zweiten Platz. Sein Siegerrind hieß „Lena“. Als Ehrenpreis erhielt Vater einen Teewagen und 28 DM für den zweiten Preis. Anfang September stellte Vater dann auch seine Tiere auf der Kreistierschau in Meschede aus und kam mit zwei Rindern nur auf den dritten und fünften Platz. Mutter schrieb im Frühjahr 1966 in ihr Tagebuch: „Papa hat einen Bullen in Meschede und zwei zum Schlachten verkauft. Im Kuhstall gibt’s immer neue Sorge.“

 

Im Mai 1967 verkaufte Vater in Meschede einen Bullen für 4.500 DM. „Das Geld können wir gut gebrauchen. Papa will eine Heumaschine kaufen“, schrieb Mutter. Im Rückblick auf das Jahr 1967: „An Krankheit fehlt es nicht. Im Stall ist viel Pech. Eine Kuh nach der anderen muss geschlachtet werden.“

Im Januar 1968 ersteigerte Vater zwei melke Rinder in der Hoffnung, dass er mit ihnen eine gute Nachzucht bekäme. Mutter schrieb später: „Die Ernte war in diesem Jahr zufriedenstellend, doch um Weihnachten hatten wir viel krankes Vieh im Stall.“

Bei der Versteigerung in Meschede erwirbt Vater im Januar 1969 „Hornisse“, ein melkes Rind von Kreuzmann in Berlar. Mutter schrieb dazu: „Hoffentlich haben wir bald etwas mehr Glück im Stall. Ich glaube, Papa fiele es sehr schwer, eine andere Arbeit anzufangen.“

 

Doch auf Vatertag 1969 schreibt sie: „Ja, nun ist eingetreten, was wir schon lange befürchtet haben. Immer wieder versuchte Papa durch Kaufen von guten Rindern unseren Viehbestand zu verbessern und dadurch bessere Leistungen sowie Einnahmen zu erzielen. Aber die Zeit der deutschen Bauern ist vorbei und wenn noch viel Pech hinzukommt? Papa hat keine Mühe gescheut und der Weg, eine neue Arbeitsstelle anzutreten, ist ihm sehr schwergefallen.“ Er hatte, 48 Jahre alt, beim Sägewerk Sapp in Eslohe eine Arbeitsstelle gefunden! 

Im darauffolgenden Jahr 1970 standen nur noch vier Kühe im Stall und deren Milch wurde in den Kannen gekühlt. Die Molkerei machte später zur Bedingung, nur noch die Milch aus Kühlbehältern zu entnehmen, was eine weitere Investition bedeutet hätte. So wurde der schwere Entschluss gefasst, sämtliche Kühe zu verkaufen und die Rindviehhaltung einzustellen. Als die letzte Kuh den Stall verließ, war Vater nicht zugegen. Es war sehr schwer und emotional für ihn, das mit ansehen zu müssen.