Nurk's HofGeschichte


Die Dichterin Johanna Baltz hat dem S.G.V.  (Sauerländer Gebirgsverein) im Jahre 1901 ins Stammbuch geschrieben:


„Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt,
Der ihrem Wesen nachforscht, ihren Sitten,
Die Wege wandelnd, die sie einst beschritten,
Zu ihnen rückwärts die Gedanken lenkt;
Dem die Geschichte seines Heimatlandes
Das Schönste, Wissenswerteste erscheint,
Der nicht vergisst des wundersamen Bandes,
Das ihn mit jenen inniglich vereint!“


Seit vielen Jahren sammele ich, habe kopiert, gesucht und geforscht und sehe mich nun vor  Stapeln von Dokumenten, Bildern, Zetteln und Büchern. Nun könnte ich alles in Kisten packen und „Hofgeschichte“ darauf schreiben und diese dann auf dem Dachbalken deponieren, in der Hoffnung, dass Irgendwer in späterer Zeit Interesse an der Geschichte unseres Hofes zeigt. Dazu soll es aber nicht kommen, denn es sind nicht nur diese Urkunden und Papiere die das wiedergeben, was an Wissen besteht. Das was in meinem Kopf gesammelt ist, wird eines Tages unwiederbringlich sein und so habe ich mich nun entschlossen, die Geschichte unseres Hofes aufzuschreiben und in Form einer Chronik für die interessierte Nachwelt zu erhalten.


Doch wer in ihr lesen wird, dem muss klar sein, dass ich nicht nur das Überlieferte sondern auch meine Sicht der Dinge in Worte fassen werde. Schon Goethe wusste: „Geschichte schreiben ist immer eine bedenkliche Sache. Denn bei dem redlichen Vorsatz kommt man in die Gefahr, unredlich zu sein. Ja, wer eine solche Darstellung unternimmt, erklärt im Voraus, dass er manches ins Licht, manches in den Schatten rücken wird.“ Ich wünsche mir aber, dass dem Leser von "Nurks Hofgeschichte"  die gleiche Inspiration ereilt, mit der ich sie derzeit verfasse.

Kleine Auszüge aus der nachweislich 500 Jahre umfassenden Geschichte unseres Hofes in Sallinghausen, mit den Familien Nurk, Wüllner und Feldmann, werde ich auszugsweise an dieser Stelle vorstellen.

 

Unser Hof

 

Es sind die vielen Menschen, die einst hier auf diesem Hof gelebt und gearbeitet haben, sich um dessen Erhalt gesorgt und bemüht haben, um ihrer selbst wegen, aber auch für ihre Nachkommen. Sie alle sind es wert, dass wir an sie denken und uns an sie erinnern. Denn sie wandelten einst wie wir auf diesen vertrauten Fluren, auf diesem Boden, diesem Land und in diesem Wald und sie haben wie wir diesen Hof als ihr Zuhause betrachtet. Sie haben so gefühlt, weil auch sie hier geboren und aufgewachsen sind. Einige sind geblieben und haben ihr Leben hier verbracht und beendet.  Doch die meisten fanden andernorts ihre Bleibe, weil der Hof nicht für alle Arbeit und ein Auskommen bot. Die aber fühlten sich ein Leben lang verbunden mit ihm, waren in Gedanken zuhause, dort wo ihre Wurzeln noch im heimatlichen Boden steckten.


Nurks Hof hat über etliche Generationen hinweg seine Bewohner ernährt, die ihn nicht nur als ihren Lebensmittelpunkt sahen, sondern darauf mit ihrem Fleiß und im Schweiße ihres Angesichts ihr tägliches Brot erarbeiteten. Diese Menschen, unsere Ahnen, hatten ein hartes und entbehrungsreiches Leben, waren sparsam und redlich und sorgten zum Wohle des Hofes und somit auch für ihre Nachkommen. Und diese wiederum profitierten von ihren Altvorderen, die ihnen den Hof zu treuen Händen überließen. Eine Metapher macht bewusst: „Wir stehen auf den Schultern unserer Ahnen.“ Wir bauen auf, auf den Lebenswerken und den Erkenntnissen der uns vorangegangenen Generationen.


Das Zitat von Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ ist eine Lebensphilosophie, die Hand in Hand mit dem Hof in die nächste Generation überging. Dieser Wahlspruch gilt auch heute noch und ist mir zu Eigen geworden. Aber Goethes Zitat ist auch Wahrheit und geht weiter: „ Was man nicht nützt, ist eine schwere Last. Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.“ Der Erhalt des Hofes und die ungeschmälerte Übergabe an die nächste Generation ist für mich eine meiner Lebensaufgaben geworden. Doch es ist nicht leicht nur mit den Erträgen des Hofvermögens dessen Erhalt zu bestreiten. So ist stets ein Teil meines hauptberuflichen Einkommens in den Hof geflossen, insbesondere zum Erhalt der Gebäude und zum Erwerb von Maschinen.

 

Als erstgeborener Sohn wurde ich schon früh in dieser Hinsicht „geeicht“. In dem ständigen Bewusstsein, einmal den Hof als Bauer zu übernehmen, bin ich aufgewachsen. Meine Eltern haben mich so erzogen, denn damals stand noch nicht fest, ob es weiterging, so wie in den Zeiten davor. Die Sorge darum, dass für den Hof und die Familie und das eigene Erleben Not und Gefahr droht, stand oft im Vordergrund und wirkte sich stets im Fühlen, Denken und Handeln aus. Irgendwann habe ich den Spruch geprägt: „Ich bin mit einem Gummiband um den Hals geboren“. Es ist die Erkenntnis dessen, was ich im Nachhinein und im Rückblick auf meine Kindheit und Jugend fühle. Ich hatte nie die Wahl und auch nicht das Ziel diesem Umfeld, unserem Hof, zu entkommen. 

Bei den Schularbeiten [1960]
Bei den Schularbeiten [1960]

Unser Hof, wie wir ihn heute sehen und kennen, hat sich stets gewandelt, so wie die Menschen die auf ihm lebten. Bewusst wird das beim Betrachten dieses Fotos, eine Luftaufnahme aus der Mitte der fünfziger Jahre (SW-Aufnahme, koloriert). Es zeigt einen sommerlichen Arbeitstag, so wie ich ihn viele Male erleben durfte. Es ist Heuernte. Der erste Hanomag Schlepper steht hinterm Haus, der Leiterwagen auf der Dorfstraße neben der Miststelle. Die Wäsche ist zum Bleichen auf dem Grasstück hinterm Garten ausgebreitet, Blumen und Gemüse wachsen in den mit Buchsbaum umsäumten Beeten im großen Garten. Die Hühner sitzen im Pirk, daneben das Häuschen mit dem alten Plums-Klosset. Die Schweine ruhen im Stroh außerhalb des alten, im Januar 1974 abgerissenen Stalles, daneben erkennt man die Steckenbanse.


Es ist Leben auf dem Hof, obwohl es ein Sonntag war. Es ist ein Beweis dafür, dass hier der Lebensmittelpunkt von Menschen ist, die hier wohnen und arbeiten. Dieses Foto ist eine frühe Momentaufnahme meines 1954 begonnenen Lebens. Das macht es für mich so wertvoll. Es macht aber auch bewusst, wie sich unser, mein Leben, Jahre danach langsam aber stetig veränderte, denn seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist nichts mehr so wie zuvor.

 

Nurks Hof war zu klein um dem längst begonnenen Strukturwandel dieser Zeit standzuhalten. Sicher war Jahre vorher bereits erkennbar, dass sich vieles wendete. Die Nachkriegszeit brachte enorme Veränderungen hervor. Die Maschinen hatten schon längst Einzug gehalten in die tägliche Arbeit eines Bauern und auch stand fest, dass – wenn dieser Hof eine Zukunft haben sollte – die Flächen nicht mehr ausreichen würden, also zugekauft oder gepachtet und ein neuer, größerer Stall errichtet werden musste um mehr Vieh halten zu können. Um diesen harten und langwierigen Weg zu gehen, bedurfte es aber Mut und Courage, denn es war ein finanzielles Wagnis allemal. Doch auch weitsichtiges Entscheiden und die richtige Einschätzung der Realität führte Ende der sechziger Jahre zur Einsicht, dass die Grenzen des Machbaren für diesen kleinen Hof längst erreicht waren.

 

Mein Vater war es, der umsichtig kapitulierte und für sich und auch für meine Generation die harte, aber richtige Entscheidung traf, die Landwirtschaft endgültig aufzugeben. Das ist ihm sichtlich schwer gefallen, denn er war ein Bauer „durch und durch“. Ihm und meiner Mutter hat das viele schlaflose Nächte und auch Tränen gekostet. Für Mutter war es eine Schmach, sah sie doch als ehemaliges „Stadtmädchen“ die Gefahr, dass die Nachbarn ihr die Aufgabe als vorhersehbares Versagen zuschrieben. Für Vater war es etwas wie Demütigung, nun sein Geld als weisungsgebundener Arbeitnehmer zu verdienen und nicht mehr seinen Tagesablauf selbstständig planen zu können. Auch war ihm bewusst, dass er es nun war, der eine generationenalte Tradition der aktiven Landwirtschaft auf unserem Hof beenden musste. Dieser Gedanke hat bis zu seinem Tod an ihm „genagt“ und ich glaube, er hat das nie richtig überwunden, auch wenn ihm die Tatsache bewusst war, dass er mir damit einen Weg bereitet hat, für den ich mich dankbar zeigen kann.

Seitdem dient Nurks Hof nicht mehr zum Haupterwerb und ist überwiegend Wohn- und Lebensraum, weniger Stätte des Broterwerbs. Das Land ist verpachtet und der Ertrag aus den Wäldern dient mit zum Unterhalt der Hofstelle und zum Erhalt des Hofes in seiner Gänze. Er ist immer noch ein „Wohlfühlort“ und seine Bewohner haben wie eh und je ein Heimatgefühl, so wie es die Vorfahren hatten. Das ist etwas, was sich nicht geändert hat.