Wie aus "Erbfeinden" Freunde Wurden:


Gelebte Deutsch-französische Freundschaft durch Schüleraustausch in Eslohe

Dieser Aufsatz wird von mir im PDF-Dateiformat zum Download und Ausdruck zur Verfügung gestellt. Eine Veröffentlichung bzw. Weitergabe an Dritte und/ oder Verwendung zu gewerblichen Zwecken ist nur nach ausdrücklicher Genehmigung des Urhebers erlaubt:

(C) Wilhelm Feldmann

Download
Deutsch-französische Freundschaft.pdf
Adobe Acrobat Dokument 1.0 MB


Die „Erbfeindschaft“

 

Das Verhältnis zwischen den Deutschen und ihren französischen Nachbarn war stets schwierig und ein Thema, über das Historiker und Buchautoren aus verschiedenen Sichtweisen heraus in Geschichtsbüchern und Romanen schrieben. Grund dafür sind insbesondere historische Begebenheiten während und nach der sog. „Franzosenzeit“ (1794 bis 1815). Für die Deutschen, allen voran die Preußen, war es eine Kränkung, als Napoléons „Grande Armée“ 1806 triumphierend durchs Brandenburger Tor zog. Sie hatte große Gebiete von Gibraltar bis Danzig und auch das Heilige Römische Reich eingenommen. Erst 1812, nach der Zerschlagung der französischen Armee beim Feldzug gegen Russland, wendete sich das Blatt: Die Franzosen wurden in den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 endgültig über den Rhein zurückgedrängt. 

 

Die Deutschen hatten die Franzosen leid, die nun das Deutsche Reich zerstückelt zurückließen. Dieses für sie übergriffige Volk, das immer alles besser wusste und alles früher zu haben schien: den Nationalstaat, die Revolution, die Herrschaft über Europa (01). Je größer der Hass auf diesen ungeliebten Nachbarn, umso patriotischer wurden die Gefühle und es bürgerte sich der Begriff der „Erbfeindschaft“ zwischen beiden Ländern ein. 

 

Sieger und Verlierer, aber keine Gewinner

 

Gleichermaßen beeindruckte und verstörte die Franzosen der preußische Staatslenker Otto von Bismarck. Durch eine List beschwört dieser den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 herauf, an dem letztlich beide Länder nicht unschuldig waren. Diesmal zwangen die Deutschen ihre Nachbarn in die Knie, erobern Elsass und Lothringen und demütigten den besiegten „Erbfeind“. Sogar in den Kirchen wurde gepredigt, die Deutschen und die Franzosen seien seit Jahrhunderten unversöhnliche Feinde. 

 

Diese Saat geht auf und mit der Parole „Zivilisation gegen Barbaren“ zogen 1914 die Deutschen mit großer Euphorie erneut ins verhasste Feindesland. Daraus entwickelte sich der Erste Weltkrieg und endete 1918 mit Deutschlands Kapitulation, dem Ende des Kaiserreiches und dem „Friedensvertrag“ von Versailles. Ohne die Beteiligung Deutschlands forderten die Siegermächte eine Demilitarisierung und setzten hohe, nicht zu erfüllende und letzten Endes inakzeptable Reparationen fest. Frankreich erhielt Elsass und Lothringen zurück. Das alles war eine Kränkung, die Jahrzehnte am Stolz des deutschen Volkes nagte. Sie war ursächlich für das, was sich in der weiteren Geschichtsfolge ereignete.  

 

Und wieder Vergeltung

 

Die Weimarer Republik wurde ausgerufen, politische Unruhen erschütterten das Land. Das Ruhrgebiet wurde besetzt, nachdem Deutschland seine Zahlungen, auch wegen der eingetretenen Inflation, nicht erfüllen konnte. Der Börsencrash von 1929 löste eine weltweite Wirtschaftskrise aus. Hohe Arbeitslosigkeit war die Folge. Den Menschen ging es schlecht; es herrschte Not. Die aufkommende Unzufriedenheit wird ein guter Nährboten für politische „Heilsbringer“. Die versprechen ein „großes“ Deutsches Reich und schüren Rachegelüste, die den Wunsch nach Vergeltung nähren. Man will es ihnen heimzahlen, den Alliierten, allen voran den Franzosen! 

 

Eine unheilvolle Stimmung entwickelte sich und mündet 1933 in die Machtergreifung der NSDAP. Deren Kriegsgelüste führen im Mai 1940 zum Einmarsch deutscher Truppen über Belgien in den Norden Frankreichs. Wenig später rollen deutsche Divisionen erneut auf Paris zu. Um Schlimmeres zu verhindern ergeben sich die Franzosen. Erst 1944 gelingt ihnen die Rückeroberung ihres besetzten Landes. Im April 1945 kapituliert Deutschland zum wiederholten Male. Deutschland, ganz Europa, liegt in Schutt und Asche. 

 


Das darf sich nie wiederholen!

 

Die Länder Europas zogen ihre vielseitigen Schlüsse aus den schrecklichen Ereignissen der beiden Weltkriege. „Nie wieder Krieg!“, beschwört man links und rechts des Rheins und schon Ende der 40er-Jahre machen sich Historiker und Geschichtslehrer beider Länder, Frankreich und Deutschland, gemeinsam auf den Weg, das Erbe der „Erbfeindschaft“ zu tilgen. Sie räumten beiderseitige Missinterpretationen in ihren Geschichtsbüchern aus, denn der Hass sollte nicht an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden. 

 

Schon früh bestand der politische Wille, die Jugend beider Länder u.a. durch Schüleraustausch (Au-pair) anzunähern und für sie die Grenzen zu öffnen. Man warb darum, die Sprachbarriere zu durchbrechen und in den Schulen, hier die französische und dort die deutsche Sprache verstärkt als Unterrichtsfach einzurichten.  

 

Die deutsch-französische Freundschaft wächst

Das Kollegium der Realschule Eslohe 1957, vlnr: Herbert Klein, Elisabeth Fürste, Wilhelmine Kaiser, Maria Lienkamp, Antonie Blumenroth, Direktor Wilhelm Thiel (seit Mai 1958 im Ruhestand), Herr Waclav
Das Kollegium der Realschule Eslohe 1957, vlnr: Herbert Klein, Elisabeth Fürste, Wilhelmine Kaiser, Maria Lienkamp, Antonie Blumenroth, Direktor Wilhelm Thiel (seit Mai 1958 im Ruhestand), Herr Waclav

Um 1950 werden die ersten Partnerschaften und Kontakte zwischen deutschen und französischen Städten, Gemeinden und Landkreisen aufgenommen. 

1951 gründet sich in Paris von sechs westeuropäischen Ländern die „Montanunion“ mit Sitz in Luxemburg. Die ging auf eine Initiative Frankreichs zurück und erwies sich als Schwungrad des wirtschaftlichen Neuaufbaus in Deutschland. Die an der Montanunion beteiligten Länder gründeten 1957 in Rom die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Zum Präsidenten der ersten Kommission der EWG wurde der deutsche Politiker Walter Hallstein gewählt. Ende 1959 wurde der sog. „Hallstein-Plan“ veröffentlicht, der einen stärkeren gemeinsamen Markt der EWG-Länder vorsah.

Zeitzeugin, mit Einblick in das politische Geschehen, war die in Eslohe geborene Ursula Padberg. Sie war damals als Dolmetscherin für französische Sprache in Luxemburg tätig. Die deutsch-französische Freundschaft war ihr persönliches Anliegen:

 

„Aus ehemaligen Feinden sollen Freunde werden“. 

 

1963 unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle im Pariser Élysée-Palast eine „gemeinsame Erklärung“ und den „Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit“ (Élysée-Vertrag). Das war keine Selbstverständlichkeit, denn 1945 nach Ende des Zweiten Weltkrieges, schien eine Versöhnung für viele Zeitgenossen noch unvorstellbar. 

 

Bereits  1957 war in Eslohe ein „Tag der Begegnung“ 

Frau Elisabeth Fürste, stellv. Leiterin und u.a. Lehrerin in Französisch an der Realschule in Eslohe (Foto: Febr. 1953 – Kappe). Sie war 32 Jahre bis zu ihrer Verabschiedung im Juni 1973 in Diensten.
Frau Elisabeth Fürste, stellv. Leiterin und u.a. Lehrerin in Französisch an der Realschule in Eslohe (Foto: Febr. 1953 – Kappe). Sie war 32 Jahre bis zu ihrer Verabschiedung im Juni 1973 in Diensten.

Eine Schülergruppe aus der französischen Gemeinde Somain, etwas südlich von der Stadt von Lille im Départment Nord gelegen, besuchte 1957 erstmals das Sauerland und war in Eslohe zu Gast. Es waren Verbindungen geknüpft worden zur hiesigen Realschule, dessen Kollegium sich offen zur Kontaktaufnahme zeigte.

 

Besonders engagiert war hier die Französisch-Lehrerin Elisabeth Fürste, die auch Stellvertreterin der Schulleitung war. Besonders blieb allen Beteiligten der „Tag der Begegnung“ in Erinnerung. Hierbei bestand eine gute Gelegenheit für die Schüler, ihre erlernten Kenntnisse in der fremden Sprache auf die Probe zu stellen. Die anfängliche Scheu wich schnell und wandelte sich in ein munteres Geplauder unter den jungen Leuten. Es wurden Kontakte geknüpft und Versprechen gegeben, sich bald auch in Frankreich zu besuchen. Die Offenheit und die Freundlichkeit der französischen Gäste waren beeindruckend und für manchen eine überraschende Erfahrung. 

 

Ob man selbst so handeln würde? 

 

Schließlich waren es deutsche Soldaten, die in der jüngeren Geschichte dreimal den Krieg in das Nachbarland getragen und damit den Hass der Franzosen auf die deutschen Besatzer geschürt hatten. Die Städte und Dörfer im Norden Frankreichs, gerade die im Grenzbereich zu Belgien, waren stets zuerst von deutschen Truppen überrannt und zerstört worden.

 

Auch in Lille waren die Menschen darauf nicht vorbereitet gewesen. 

Die Fotos vom Einmarsch der Deutschen im Mai 1940 zeigen Zerstörungen bei der Einnahme von Lille. Die Menschen fliehen mit Pferdefuhrwerken, auf denen ihr nötigstes Hab und Gut geladen ist, im Konvoi vor den deutschen Besatzern.  

 


April 1958:  Erste Frankreichfahrt einer Schülergruppe aus Eslohe

Am 19.4.1958 sind die Esloher Schülerinnen wieder zuhause. Am Bahnhof werden sie von ihren Angehörigen herzlich empfangen.
Am 19.4.1958 sind die Esloher Schülerinnen wieder zuhause. Am Bahnhof werden sie von ihren Angehörigen herzlich empfangen.

Unter der Leitung der Realschul-Lehrerin Elisabeth Fürste macht sich am 2. April 1958 eine Gruppe Schülerinnen aus Eslohe zu einem Austausch nach Frankreich.

Mit auf die Reise ging die damals 13jährige Gertrud Heymer aus Sallinghausen, die später ihrer jüngeren Schwester Brigitta begeistert von ihrer Zeit in Frankreich berichtete. Ihre Mitschülerinnen waren in Lille untergebracht, Gertrud aber bei einer Gastfamilie in Tourcoing. Die Stadt liegt im Hügelland nordöstlich von Lille.

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sie erneut aufgebaut werden. Es entstanden wieder Spinnereien und Webereien, damals in dieser Gegend typische Gewerbe. Auch der Vater von Gertruds Gastfamilie hatte offensichtlich eine einträgliche Beschäftigung in der Textilindustrie. Seine vielköpfige Familie besaß in Tourcoing ein großes Haus.

Es waren Osterferien und Gertrud wurde mit in das familieneigene Sommerhaus in Knokke mitgenommen. Die Stadt liegt unmittelbar an der Grenze zu den Niederlanden und gilt heute als mondänster Badeort an der belgischen Küste. Der kilometerlange feinkörnige Sandstrand, die weitläufige Dünenlandschaft und das Meer:

Das waren unvergessliche Eindrücke für ein Bauernmädchen aus dem Sauerland! Die Familie war sehr gastfreundlich und nutzte die Zeit für einen Ausflug nach Paris. Eiffelturm, Triumphbogen, Notre Dame und Sacré Coeur wurden besichtigt. 

 

Die Zeit verging für die Esloher Schülerinnen in Frankreich wie im Flug. Auf der Rückfahrt ins Sauerland machte die Gruppe einen Stopp in Brüssel. Die Expo 58, die erste Weltausstellung nach dem Krieg, war gerade eröffnet und der Besuch des Atomiums ein weiterer Höhepunkt ihrer Reise (02). Am 19. April 1958: Zuhause angekommen, erzählte Gertrud begeistert von ihren Erlebnissen im Nachbarland mit einer anderen Sprache und anderen Gewohnheiten. Bei ihrer jüngeren Schwester Brigitta weckte das den innigen Wunsch, auch einmal zu einem Schüleraustausch nach Frankreich reisen zu dürfen (03)

 


Achtzig Französische Jungen in Sallinghausen

 

Die Gastgeberfamilie Heymer um 1958: vlnr: die Tochter Gertrud, Mutter Anna und Vater Heinrich, die Töchter Elisabeth, Brigitta und Marianne
Die Gastgeberfamilie Heymer um 1958: vlnr: die Tochter Gertrud, Mutter Anna und Vater Heinrich, die Töchter Elisabeth, Brigitta und Marianne

Die gefestigten Kontakte der Realschule Eslohe zu Nordfrankreich führte dazu, dass im Sommer 1958 wiederholt eine große Gruppe 80 französischer Jungen im Alter von 11 bis 16 Jahren in Begleitung einiger Betreuer in die Gemeinde Eslohe reisten. Sie fanden in Sallinghausen bei der Bauernfamilie Heymer ideale Bedingungen für ein Zeltlager.

Das Kollegium der Realschule war auch diesmal vermittelnd tätig und brauchte die Eheleute Heinrich und Anna Heymer, deren Tochter Gertrud zuvor so gastfreundschaftlich in Frankreich aufgenommen wurde, nicht lange überzeugen, nun auch Gastgeber für die jungen Franzosen zu sein.

Dabei war es nicht selbstverständlich, dass Heinrich Heymer seine Zusage gab, hatte er doch als Soldat im Ersten Weltkrieg traumatische Erinnerungen an seine Zeit bei Verdun. Er selbst war mittendrin, dort wo sich französische und deutsche Soldaten über viele Monate einen unerbittlichen Stellungskampf lieferten. Doch er trug den Franzosen nichts nach, denn ihm war bewusst, dass sie, die Deutschen, die Eindringliche waren. Er hätte es nicht anders getan und sich mit allen Mitteln verteidigt, wären feindliche Truppen in sein Heimatdorf eingedrungen.

Verzeihen, vergessen und nach vorne schauen“, so wird er seiner christlichen Einstellung Bedeutung gegeben haben. Das Wohl seiner Kinder, die in einer freien und freundschaftlich verbundenen Welt aufwachsen sollten, war ihm näher als unberechtigte Vorurteile gegenüber französischen Bürgern. Das seine Einstellung, dreizehn Jahre nach Kriegsende nicht selbstverständlich war, konnte seine Familie bald erfahren: Es gab in Eslohe noch einige Unbelehrbare, die bei ihren alten Weltanschauungen verharrten und ihre Intoleranz gegenüber der Familie Heymer und dem Kollegium der Realschule offen zum Ausdruck brachten. 

 

Die Tageszeitung berichtete

 

Da war es nur gut, dass der Journalist Klaus Eckel für einen Artikel in der „Mescheder Zeitung“ das Zeltlager in Sallinghausen aufsuchte und umfassend und zuneigend in Wort und Bild berichtete. In der Ausgabe vom Mittwoch, den 30. Juli 1958, erschien sein ausführlicher Artikel mit der Überschrift „Pater spielt mit Faustball“, der hier fast vollständig wiedergegeben wird. Der geneigte Leser wird feststellen, wie sich die Berichterstattung im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert hat. Die Tageszeitung war damals gleichfalls informativ und unterhaltsam, also lesenswert zur Freude ihrer Abonnenten:  

 

"

Fremde Laute auf Heymers Wiese

 

Ein Wirrwarr von Worten, die für das nicht eigens geschulte Ohr des Deutschen meist ohne Sinn bleiben, dringt aus dem großen Zelt auf der Wiese vor dem Gehöft des Sallinghauser Bauern Heinrich Heymer. Viele kleine Franzosen und ein paar Erwachsende haben soeben ihr Mittagsmahl beendet. Der Lärm stammt selbstverständlich von den Kleinen, einige von ihnen singen jetzt fremd anmutende Lieder. Man kann das geräumige Hauszelt, dessen hochgerollte Seitenwände den Blick auf eine Reihe vorgebeugter Rücken freigeben, über einem locker gefügten Knüppeldamm betreten, ohne den selbst gezimmerten Holzboden durch die feuchte Erde zu beschmutzen. Erstaunte Augen mustern die fremden Eindringlinge, Fotoapparate haben den Eintritt des „Zeitungsmenschen“ in jeder Phase festgehalten – sofern es nicht zu dunkel war in dem Zelt mit den langen Holztischen.

 

Zuhause, in der von zwölftausend Einwohnern bevölkerten Stadt Somain, werden die Jungen ihren Eltern zeigen, wie interessant man sie jenseits des Rheins gefunden hat. Schließlich sind sie gekommen, um Kontakt mit den Deutschen zu haben, denn ein Zeltlager hätten sie ja genauso gut zuhause aufbauen können. Es ist ein wenig schwierig, mit ihnen zu plaudern: mit Pierre Roger, dem Franziskaner, den die Esloher schon vom vorigen Jahr her kennen und der wieder einmal dabei ist, mit Abbé Dhemin, dem Vikar der zehntausend Seelen starken Gemeinde St. Michael, deren Pfarrjugend die Sommergäste entstammen. 

 

Familiäres Verhältnis

 

Doch Fräulein Elisabeth Fürste, eine Lehrerin der Esloher Realschule, fungiert als gewandte Dolmetscherin. Sie macht die vielen Fragen für die Franzosen verständlich und überträgt die Antworten gewissenhaft zurück ins Deutsche. Die Gäste fühlen sich in Sallinghausen sehr wohl. Einige von ihnen waren schon im vorigen Jahr mit dabei und haben sich auch diesmal begeistert gemeldet, als es galt, für drei Wochen, vom 16. Juli bis zum 6. August, nach Deutschland zu fahren. Die beiden Geistlichen legen besonderen Wert auf die Feststellung, dass alle von der Bevölkerung sehr herzlich aufgenommen worden sind und dass sich ein sehr familiäres Verhältnis zwischen Gastgebern und Gästen entwickelt hat. 

 

Gastgeber bauten Zelte

 

Die französischen Jungen, die bis auf einen alle noch in eine der vier Volksschulen oder in eine der beiden Höheren Schulen ihrer Heimatstadt gehen, haben drei Köchinnen mitgebracht, denen alle bescheinigen, dass sie den Kindern die Mutter ersetzen. Und zwar nicht nur in Bezug auf das ausgezeichnete Essen. Die Esloher und Sallinghauser haben – außer dem für die gemeinsamen Mahlzeiten bestimmten Zelt – drei Hauszelte auf der Wiese vor dem Eingang zum Gehöft errichtet, die der Bauer zur Verfügung stellte. Außerdem gibt es noch einen zweiten Platz mit vier Zelten, die sich ein wenig weiter oberhalb befinden. Drei Tage haben die Gastgeber auf ihre Arbeit verwendet; es mussten letzten Endes alle Gebrauchsgegenstände bis zu den Kochtöpfen herangeschafft werden. Kurz vor dem Eintreffen der Franzosen war alles fertig. 

 

In der alten Heimat

 

Die im alten Backhaus des Bauern untergebrachte Küche lieferte unterdessen einen eindrucksvollen Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit: vom Sprechen durstige Kehlen schlucken schwarzen Kaffee französischer Machart. Die Zichorie gab ihm den spezifischen Geschmack. Im alten Backhaus stehen die drei Köchinnen vor Töpfen mit brodelndem Inhalt. Eine von ihnen ist eine Deutsche, die seit 35 Jahren zum ersten Mal wieder ihre alte Heimat besuchte, eine der beiden übrigen ist die Mutter des Abbés. 

Das Dorf ist froh, dass es auf einmal zwei Geistliche erhalten hat, die in der sonst verwaisten Kapelle in Sallinghausen Gottesdienste halten. Der sympathische Franziskaner Pierre Roger dürfte übrigens für längere Zeit das letzte Mal zu den Gästen zählen; in Kürze fliegt er nach Afrika und bleibt dort als Missionar. Doch vorerst lässt er wenig Abschiedsstimmung aufkommen. Er teilt mit den Jungen beim Volleyball, einer Art Faustball, deren englische Bezeichnung aus den französischen Kehlen so abenteuerlich klingt, dass sie fünfmal gesprochen und buchstabiert werden muss, bevor der Kugelschreiber sie druckreif auf den Block notiert. 

Nach dem Mittagessen ist im Tagesprogramm des Lagers erst einmal Ruhe. Und dann geht es erstmal auf zu den „großen Spielen“ – so sagen sie – in den Wald oder auf die Wiesen. Wenn nicht gerade ein Tagesausflug nach Winterberg oder zu sauerländischen Sehenswürdigkeiten auf dem Programm steht. An solchen Tagen „schlafen“ die zugeschnürten Zelte, die übrigens der Kreisjugendpfleger zur Verfügung stellte. 

An das Abendessen anschließend, füllen Gesellschaftsspiele den Rest des Tages aus. Dann und wann schallen weithin vernehmbar Volkslieder. In einer benachbarten Scheune wird das Abendgebet gesprochen. 

Offensichtlich ist die gute Stimmung der französischen Gäste. Das zeigt den Gastgebern, dass man sich in Sallinghausen sehr wohl fühlte. 

Aufruf zum „Essenfassen“, wenn das Horn erschallt. Statt Eintopf zauberte das Küchenteam leckere Drei-Gänge-Menüs, französische Esskultur auch im Zeltlager. 

Deutsches Weißbrot ersetzt das französische Baguette. Im Hintergrund, die Realschullehrerin Elisabeth Fürste. 

Die französischen Schüler vor der erst 1954 neu erbauten Dorfkapelle St. Antonius. 

 

"


Eine echte Begegnung

 

Der Aufenthalt der französischen Schülergruppe im Juli 1958 in Eslohe wurde, wie schon im vorherigen Jahr, für eine echte Begegnung mit einigen Realschülern aus Eslohe genutzt. Dafür hatte sich wiederholt Lehrerin Elisabeth Fürste eingesetzt. Der Tag der Begegnung begann mit einem gemeinsamen Gottesdienst in der Esloher Pfarrkirche. Anschließend trafen sich alle in der Realschule (04) in der eine vorbereitete Liste vorgelesen wurde. Es wurden jeweils die Namen eines deutschen und dazu eines französischen Schülers aufgerufen, die dann ganz gespannt aufeinander zugingen und einen ganzen Tag zusammen im Wohnort der Gastgeber verbrachten. Wie könnten sich die Völker dieser Welt verstehen und schätzen lernen, wenn nicht so?

 

 

Etwas eingeschüchtert ist dieses Geschwisterpaar: Die fünfjährige Helga Schulte gnt. Eiken und ihr jüngerer Bruder Gerhard holen Trinkmilch beim Bauern Heymer und treffen hier auf die französischen Gäste im Dorf.


So ging es weiter:

 

Im Jahr 1970 feierte die Amtsrealschule Eslohe ihr einhundertjähriges Bestehen. Sie wurde einst mit bescheidenen Mitteln als Rektoratsschule eröffnet und konnte sich nun, einhundert Jahre später, mit Erfolg rühmen: 350 Schüler und Schülerinnen wurden im Jubiläumsjahr hier unterrichtet. Es bestand große Raumnot, die erst durch einen Anbau, der Ostern 1973 fertiggestellt wurde, beseitigt wurde. Eine eindrucksvolle Festschrift konnte von ihrem Wachsen und Werden berichten, so auch über die Begegnungen Esloher Schüler mit französischen Jugendlichen, auch in der Zeit nach 1958. 

 

Ein Schüleraustausch fand 1962 in Lille statt. Dort erfuhren wiederholt Schüler aus Eslohe herzliche Aufnahme in französischen Gastfamilien.    

 

Im Sommer 1964 fanden sich in der Gemeinde Eslohe erneut 34 Jungen ein. Diesmal kamen sie aus der französischen Industriestadt Creil, rund 50 Kilometer von der Innenstadt von Paris entfernt und am Fluss Oise liegend. Die Schülergruppe zeltete diesmal im Landenbecker Bruch. Auch darüber berichtete die Tageszeitung: „Farbenfrohe Zelte im Wiesengrund unter hohen Eichen, eine muntere Jungschar – das ist das Bild, das sich dem Wanderer seit Mitte Juli im Landenbecker Bruch bietet. Und horcht er hin, so klingen französische Namen an sein Ohr…“

Die Franzosen seien hier „um die frische Sauerländer Luft zu atmen, um sich an Leib und Seele zu erholen, um Land und Leute kennenzulernen, und vor allem, um freundschaftliche Bande mit der deutschen Jugend zu knüpfen“. 

Bedeutungsvoll war, dass die Jungen bereits vorher im Briefwechsel mit einem gleichaltrigen Schüler der Realschule standen. Nun freuten sich die jungen Leute, den Briefpartner erstmals von Angesicht zu Angesicht zu sehen und einen Tag in dem Elternhaus des Gastgebers gemeinsam zu verbringen. 

 

Einen weiteren Zeitungsbericht wert war auch die im Jubiläumsjahr der Realschule stattgefundene Frankreichfahrt von 28 Schülern und Schülerinnen aus Eslohe. Ende März 1970 fand die Begegnung mit gleichaltrigen Schülerinnen der Partnerschule Lille statt, um mit ihnen gemeinsam in das Skiparadies von Grenoble zu rollen. Dort erwarteten sie gemeinsame Spiele und Wintersport, aber auch Unterricht um die Kenntnisse in der zweiten Fremdsprache aufzufrischen. Es unterrichteten französische Lehrer die deutschen Schüler in der französischen Sprache und umgekehrt. Die Schüler wurden von den Realschullehrerinnen Maria Joch und Heidrun Swoboda begleitet. 

 

Daran knüpfte sich 1987, also einige Jahre später, ein Austausch, diesmal aber mit belgischen Schülern aus Tournai an. Auch nach England wurden Kontakte geknüpft. Die erste Fahrt nach London fand im Juli 1977 statt, dann folgte im August 1978 der Gegenbesuch der Engländer in Eslohe. Es folgten weitere Treffen bis zur Auflösung der englischen Partnerschule. Private Kontakte jedoch blieben, wie nach vielen Begegnungen von Schülern und Schülerinnen der Esloher Realschule mit jungen Menschen aus anderen Ländern.

 

Ein weiterer Beitrag zur deutsch-französischen Völkerverständigung, die in Eslohe weit gefächert war: Von 1976 bis 1992 war Pfarrer Johannes Arens Seelsorger in Eslohe, ein bekennender Freund der französischen Kultur und Lebensweise. Seine guten Kontakte ins Nachbarland nutzte er zu Gunsten der Esloher Kolpingjugend, die so ihre Ferienfreizeiten in französischen Gemeinden über viele Jahre ausrichten konnten. 

 


Gute Nachrichten

 

Meine Aufzählung von Begegnungen zwischen Esloher Schülern und Schülerinnen mit jungen Menschen aus anderen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten kann des Umfangs wegen nicht vollständig ein. Wie alles seinen Anfang nahm, die „Friedensarbeit“ hier vor Ort, war meine Intension um diesen Aufsatz zu schreiben. 

 

Anders wie damals, besteht heute ein großes Angebot für den Schüleraustausch, das Auslandspraktikum oder die Sprachreise. Der Schüleraustausch ist längst etabliert und erreicht heute kein großes Aufsehen mehr in der Öffentlichkeit. Eigentlich zeigt das, wie unbedarft sich junge Menschen über die Landesgrenzen hinwegbewegen und Kontakte knüpfen können. Der sinnvolle Gebrauch der sozialen Medien, die es in den Anfängen nicht gab, hilft heute dabei, dass sich Menschen verbinden, sich vernetzen, Treffen organisieren, dabei neue Freunde finden und mit Menschen aus anderen Ländern in Kontakt treten. Die unterschiedlichen Sprachen können keine unüberwindbare Barriere sein.   

 

Ein Stück Normalität ist in dieser Hinsicht eingekehrt. Das aber sollte nicht als eine Selbstverständlichkeit gesehen werden. Fast achtzig Jahre Frieden und Freundschaft unter den Ländern sind, wie die Geschichte zeigt, genau so wenig selbstverständlich. Es bedeutete ein „großes Stück Friedensarbeit“, die auch jetzt immer wieder neu belebt werden muss. 

Deshalb sollten sie nicht nachlassen, die steten Bemühungen: Kontakte zu beleben, gegenseitige Freundschaften zu vertiefen und das Verständnis füreinander zu fördern. Der Austausch der Menschen, insbesondere der jüngeren Generation, ist ein wichtiger Grundpfeiler für eine fortdauernde friedliche Verständigung der Länder untereinander. 

Dublin im November 2007:

 

 

Junge Leute begegnen sich bei einem „Crash“ -Intensivkurs über vier Wochen und intensivieren dabei nicht nur die Englische Sprache.

 

Sie erkennen: Junge Menschen auf der ganzen Welt, egal welcher Religion und Kultur sie entstammen, haben die gleichen Träume und Wünsche, die sie an ihr Leben stellen: Glück und Frieden.

 

Noch heute bestehen einzelne Kontakte unter ihnen (vlnr:)

Alessandro aus Italien, Ana aus Kroatien, Laura aus Spanien, Ricarda aus Germany (meine Tochter), Nikolai aus Belgien und Fabricio aus Portugal.

 

Das Foto ist ein Beweis dafür, wie harmonisch Begegnungen über Ländergrenzen hinweg entstehen können. 


Anhang:

 

01    Zitate aus fluter.de (Heft Nr. 62) „Ziemlich beste Feinde“ von Jan Ludwig 

 

02   Die Expo 58 war die Weltausstellung, die vom 17. April bis 19. Oktober 1958 in der belgischen Hauptstadt Brüssel stattfand. Das offizielle Motto lautete „Arbeit der Welt - für eine menschliche Welt“. Dazu passend wurden die beiden neuen Zukunftstechnologien Raumfahrt und Atomkraft erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Es war die erste Weltausstellung nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

 

03   Bericht von Brigitta Nölting, geb. Heymer. Sie lebt seit 1975 in Bottrop und war dort 40 Jahre Schulleiterin in der Rheinbabenschule. Nach ihrem Abitur lebte sie für einige Zeit als AU-Pair in Cassis, Südfrankreich. In Bottrop ist sie seit einiger Zeit Mitglied in der Deutsch-Französischen Gesellschaft (DFG). Sie hält ständigen Kontakt zu französischen Freunden in Tourcoing und Lille. 

 

04 Das neue Schulgebäude der Realschule in Eslohe wurde am 6. Januar 1955 eingeweiht. Im Herbst 1953 erfolgten die ersten Ausschachtungsarbeiten. Bereits am 26.1.1954 wurde Richtfest für den ersten Bauabschnitt gefeiert. 

 


Ein Hinweis zum Schluss: 

 

Die gezeigten Fotos vom Zeltlager der französischen Gruppe in Sallinghausen 1958 sind Aufnahmen der Gäste, die diese der Familie Heymer zum Dank und zur Erinnerung an ihre wunderbaren Tage in Sallinghausen als Geschenk übersandten. 

Weitere Hinweise entstammen aus den beiden Festschriften „100 Jahre Rektorats- und Amtsrealschule Eslohe“ von 1970 und „Realschule Eslohe von 1870 – 1995“ zur 125-Jahr-Feier im Jahre 1995, zur Verfügung gestellt von Siegbert Tillmann, ehemaliger Schüler der Realschule in Eslohe. 

Besonders danken möchte ich meiner ehemaligen Nachbarin Frau Brigitta Nölting, geborene Heymer aus Sallinghausen, für die Überlassung der Fotos und des Zeitungsberichtes aus dem Jahr 1958. Das brachte mich zu der Idee, zum immer noch aktuellen Thema der Völkerverständigung, insbesondere zwischen Franzosen und Deutschen, zu recherchieren und einen Aufsatz darüber zu verfassen.