"Wer schreibt, der bleibt"


Briefe aus Amerika

 

Menschen, die ihrer Heimat, dem Sauerland, den Rücken kehrten.

Die Vorgeschichte findest Du auf dieser Seite    >>>


Heinrich Heymer war 1859 als dritter Sohn von insgesamt acht Geschwistern auf dem Erlenhof in Estinghausen bei Sundern geboren worden. Sein Vater ist Johann Caspar Heymer, geb.1818. Heinrich war besonders kräftig, ein strammer und tatendurstiger Bursche, und die Arbeit an der frischen Luft und in der Natur war ihm wie auf den Leib geschrieben. Doch sein ältester Bruder Gottfried, geb. 1856, war der Hoferbe.

Wie wir bereits auf der Seite „Hofchronik/Auswanderer“ erfahren, hat Heinrich im Jahre 1884, nun 25 Jahre alt, die Gelegenheit genutzt und ist mit dem von Nurks Hof in Sallinghausen stammenden Joseph Wüllner nach Amerika gereist. Wüllner befand sich zu Besuch in seiner alten Heimat, hatte in Detroit seit 1850 Fuß gefasst und führte dort ein erfolgreiches und auskömmliches Leben. Johannes Mette, ein 21jähriger Bauernsohn aus Dorlar, schloss sich den beiden an.

Johannes Mette und Heinrich Heymer waren als „nachgeborene Söhne“ auf ihren elterlichen Höfen herangewachsen. Nun befanden sie sich in dem Alter, wo es sie drängte, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen um ein ausreichendes Auskommen zu haben, ein Mädchen zu ehelichen und mit ihr eine Familie zu gründen. Diese Träume, ihre Hoffnungen und die Ansprüche, die die beiden jungen Männer an ihr Leben stellten, konnten in ihrer Heimat nicht erfüllt werden. War auch ihr Schicksal im fernen Amerika ungewiss, sie hatten doch nichts zu verlieren und konnten nur gewinnen. Joseph Wüllner, ihr väterlicher Begleiter, und viele andere Auswanderer hatten es geschafft, warum sie nicht?
Und so werden diese jungen Männer voller Euphorie die Reise in Unbekannte angetreten haben. Doch wurden ihre Erwartungen erfüllt?

Dieser Bericht könnte nicht geschrieben werden und die Erinnerung an die Ausreise der beiden nicht erwachen, wenn Heinrich sich nicht dann und wann der Mühe unterzogen hätte, Briefe an seine Verwandte ins Sauerland zu schreiben. Er konnte nicht ahnen, dass diese heute den Ausspruch bewahrheiten: „Wer schreibt, der bleibt.“


Auch von hier wurden Briefe über den Atlantik geschickt mit sorgenden, aber auch neugierigen Fragen, immer an die Adresse von Joseph Wüllner in Detroit. Dessen Zuhause war der Dreh- und Angelpunkt, sozusagen der Postkasten für den Briefwechsel, denn Heinrich war tatendurstig und wechselte ständig seinen Aufenthaltsort, immer auf der Suche nach Beschäftigung und Fortkommen. Er ist beeindruckt von dem, was seine Augen schauen, was er dort vorfindet. Und der Anfang wird ihm in Obhut des Wüllner-Clans erleichtert, sodass seine Begeisterung vorerst ungeschmälert bleibt.

Seine Eltern und Geschwister wird er in einem Briefe unmittelbar nach seiner Ankunft berichtet haben. Ungefähr zwanzig Tage dauerte damals i.d.R. die Zustellung eines Briefes über den Atlantik.

Am 8. Februar 1885 nimmt Heinrich Papier und Feder in die Hand und schreibt zwei Briefe in die alte Heimat. Den einen an Onkel und Tante in Sallinghausen, in dem er diesen begeistert von der Reise und vom unerwartet herzlichen Empfang in Detroit mit Militärkapelle, die heimatliche Hymnen spielte, berichtet. Aber auch das, was Wüllner geschaffen und aufgebaut hat, dessen Besitz, beeindruckt ihn außerordentlich.

Der zweite Brief erreicht die Familie in Estinghausen. Er beginnt mit einer Beschwerde darüber, dass deren Brief zu kurz gefasst und zwanzig Pfennig Porto beinahe umsonst gezahlt sei. Und auch seine Frage, ob der Vater noch an seinen sorgenschweren Ämtern ist, sei nicht eine Antwort wert gewesen.

 

Auch die Zweifel an seinem Körpergewicht, das auf 207 Pfund gestiegen sei, was er ausdrücklich versichere, könne er den ungläubigen Verwandten durch vereidigten Zeugen unterschreiben lassen. Es folgt eine Bitte, die auch eine wehmütige Stimmung verraten:

 

„Ich hätte auch gern Fotografien des Herrn Vikar und des Herrn Lehrer, denn es kommt mir doch zuweilen der Gedanke, dass man sie nicht wieder zu sehen bekommen könnte.“


Dann berichtet er über den strengen Winter in Michigan:

 

„Die Erde ist zwei Fuß tief mit Schnee bedeckt, bei der grimmigsten Kälte schon acht Wochen lang. Es ist hier im Winter viel kälter und im Sommer viel wärmer wie draußen. Die Geschäfte gehen hier schlecht wie noch nie. Aber es wird jedenfalls mit dem kommenden Frühjahr wieder besser und ein lebensfroher und gesunder Busche wie ich, schlägt sich schon zu jeder Zeit durch.“

Der anfänglichen Begeisterung und Zuversicht folgte jedoch sehr bald die realistische Einschätzung seiner Situation. Mit Wehmut schreibt er im Juli 1885 an Onkel und Tante in Sallinghausen:

 

„Schon über ein Jahr ist es her, seit ich sie zum letzten Mal sah, wo ich zum ersten Mal das so schöne Esloher Schützenfest mitfeierte. Ja einmal möchte ich noch das schöne Fest mitfeiern, einmal noch möchte ich sie wiedersehen und mit den schönen sauerländischen Mädchen tanzen und mit den lustigen Männern singen und spielen.“

 

Er schildert seine Erlebnisse im eiskalten Winter 1884/85, wo Menschen und Tiere erfroren sind und beklagt sich nun über eine anhaltende unerträgliche Hitze. Dann wird seine Unzufriedenheit begreiflich:

„Seit fünf Wochen bin ich auf dem Lande, zwölf Meilen von Detroit, weil daselbst durchaus keine Arbeit aufzufinden war. Die Industrie liegt darnieder wie noch niemals vorher. Handel und Gewerbe stocken und ich glaube, Amerika steht vor einer großen Katastrophe.“

Ein schönes Paar: Heinrich Heymer und Maggi, geb. Otto
Ein schönes Paar: Heinrich Heymer und Maggi, geb. Otto
Zwei Freunde sind nun Schwäger: Johannes Mette und Heinrich Heymer heirateten Schwester, Töchter eines aus Koblenz ausgewanderten Farmers
Zwei Freunde sind nun Schwäger: Johannes Mette und Heinrich Heymer heirateten Schwester, Töchter eines aus Koblenz ausgewanderten Farmers

Ein Bild voller Traurigkeit:  Eine junge Frau, Maggie Heymer ist nun Witwe
Ein Bild voller Traurigkeit: Eine junge Frau, Maggie Heymer ist nun Witwe

Lange Zeit erhielten die Angehörigen keine Nachricht mehr von Heinrich. Sie wussten nur, dass dieser regelmäßigen Kontakt zu Joseph Wüllner hielt. Dann, im November 1890, traf ein Brief von Heinrich in Sallinghausen ein, gerichtet an seinen Bruder Eberhard, der dort zwischenzeitlich das Erbe der kinderlosen Eheleute Eickhoff annehmen sollte.

 

„Es drängt mich, dir heute nach so langer, langer Zeit einige Worte über den Atlantik zu senden. Schon über sechs Jahre bin ich von Zuhause fort und in der Zeit sind wir, wie mir scheint, wesentlich entfremdet.“

Es folgt seine Rechtfertigung, warum er die sorgenvollen Briefe der Angehörigen nicht beantwortet hat:

 

„Da soll ich haarklein erzählen, was ich verdiene, ob ich in die Kirche gehe, wie ich meine freie Zeit verbringe. Dass ich da der Korrespondenz zuweilen ganz überdrüssig werde, ist vielleicht erklärlich.“

 

Seinem überraschten Bruder eröffnet er dann den eigentlichen Grund seines Schreibens:

„Bei mir hat sich in letzter Zeit vieles geändert. Des einsamen Junggesellenlebens müde, habe ich beschlossen, meinen eigenen Herd zu gründen und habe somit meinen Wigwam in Nummer 278 – 15. Straße aufgeschlagen. Ich habe nämlich geheiratet. Die Trauung fand am 30. Oktober in der St. Josephs-Kirche zu Wyandotte, der Heimat meiner Frau statt. Sie ist die Tochter eines Farmers. Ihre Eltern stammen aus Koblenz. Ihr Name ist Maggie Otto, 21 Jahre alt, also beinahe zehn Jahre jünger als ich.“

Nicht ohne Stolz über seine junge und gutaussehende Angetraute legte Heinrich dem Brief ein Foto bei. Ebenso jenes, welches Johannes Mette abbildet. Dieser heiratete eine Schwester von Maggie und wurde so Heinrichs Schwager.

Heinrichs Träume vom Erfolg und einem glücklichen Familienleben in der Neuen Welt erfüllten sich nicht. Kaum zwei Jahre später erhielten seine Angehörigen die traurige Mitteilung, dass Heinrich bei einem Unfall mit einem Pferdefuhrwerk ums Leben gekommen sei. Er hinterließ nur eine trauernde junge Witwe.