Mein Dorf im Wandel der Zeit


Sallinghausen am Fuße der Homert

Jahrmillionen hat die Natur gebraucht dieses Tal und diese Höhen, die sich vor meinem Auge ausbreiten, zu gestalten und die Landschaft zu formen. Doch der Mensch, wir und unsere Vorfahren waren es, die diese Landschaft verändert, der Umwelt immer wieder ein neues Kleid gegeben haben. Und so wird mir bewusst: Auch ich habe in diesem Ort im Tal der Salwey meine Spuren hinterlassen, indem ich gebaut, gepflanzt und gesät, hier mein Leben eingerichtet habe. Der Mensch verändert sein Umfeld, schafft „seine“ Kulturlandschaft, so wie seine Bedürfnisse es benötigen oder fordern. Aber es sind nicht nur die sichtbaren Veränderungen, es sind auch die Lebensumstände und Lebensformen, die einem ständigen Wandel unterworfen sind. 

Ein Versuch ist dies, den Bogen zu spannen vom „Einst zum Jetzt“, indem im Zeitraffer auch die Veränderung einer dörflichen Struktur über die Jahrhunderte bewusst wird. 

Panorama: Sallinghausen im unteren Salweytal gelegen. Links der Rehenberg (früher Remberg genannt), rechts der Henneberg als Teil der Homert.
Panorama: Sallinghausen im unteren Salweytal gelegen. Links der Rehenberg (früher Remberg genannt), rechts der Henneberg als Teil der Homert.

Der Ursprung

Bildausschnitt um 1900: Die alte Brücke im Dorf. Dahinter das Wohnhaus des Korn- und Sägemüllers Sternberg mit Stallgebäude
Bildausschnitt um 1900: Die alte Brücke im Dorf. Dahinter das Wohnhaus des Korn- und Sägemüllers Sternberg mit Stallgebäude

Die Menschen, die einst dieses fruchtbare Tal urbar machten, erkannten die vorhandenen und für ihre Besiedlung günstigen Verhältnisse. Hier im unteren Tal der Salwey machten sie sich die Wasserkraft zunutze. Urkundlich erwähnt wurde erstmals 1467 die Großherzogliche Mühle, die als Kornmühle erbaut und in späterer Zeit um eine Sägemühle erweitert wurde. Schon bei Niedereslohe, unweit der Einmündung des Essel-Baches in die Salwey, zweigt der „Mühlengraben“ einen Teil des Fließgewässers ab um es auf die Schaufeln eines Wasserrades zu lenken. In alten Urkunden wird dieses als „Kirchenwasser“ bezeichnet. 

 

Die Bewohner weiterer vier Höfe, deren ursprüngliche Entstehung im Dunkel der Geschichte liegt, siedelten hier und wurden sesshafte Bauern. Der größte Hof war einst der Schultenhof, dessen Ländereien bis an den Mündungsbereich an die Talfluren des Wenne-Flusses angrenzten. Unweit davon liegt das Gut Wenne, welches traditionell zur Nachbarschaft gehörte. Die Bewohner unseres Dorfes leisteten in früherer Zeit für das Gut Hand- und Spanndienste. Eine Überlieferung erzählt, dass ein Reiter vom Gut am nahen „Remberg“ erschien und von dieser Anhöhe aus in sein Horn blies. Das war das Signal für die Dorfbewohner, dass sie für Hand- und Spanndienste zu erscheinen hatten. Im Jahre 1825 erfolgte die endgültige Aufhebung aller grundherrlichen Rechte durch die preußische Regierung. Die Grund- und Leibherrschaft wurde nach einem langen Prozess der Bauernbefreiung abgelöst und das „Adelsprivileg“ für alle Zeit beseitigt.

 

Grund- und Bodennutzung in alter Zeit

Auf den, den Höfen naheliegenden Flächen im Tal, wurde Wiesenbewirtschaftung betrieben und Grünfutter für das Vieh geerntet. In den Wintermonaten wurden sie geflutet. Mit Hilfe von Schlachten wurde das Wasser der Salwey in Gräben auf die Flächen geleitet. So setzten sich die im Bachwasser mitgeführten natürlichen Schwebstoffe als Düngemittel auf den Wiesen ab. 

 

Kühe und Schafe wurden gehütet; die Schweine ernährten sich in einem Gehege von den Früchten des Waldes. Der Dorfschäfer war für das Wohl der ihm überlassenen Tiere verantwortlich und wurde dafür von den Bauern entlohnt. Auch er besaß im Dorf ein kleines Haus mit etwas Land und verdiente sich zusätzlich als Tagelöhner ein bescheidenes Einkommen. 

 

Etwas Wohlstand kam nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) durch Verstärkung des Handels auf. Der Wald spielte bis dahin wirtschaftlich kaum eine Rolle, denn es war kein Kulturland wie wir ihn heute kennen. Bedeutsam wurde er erst nach Auflösung der Marken und den damit verbundenen Übergang in das Eigentum der Markengenossen. 1846 wurde hier die Markenteilung aufgehoben und das Gemeineigentum auf die Bauern aufgeteilt. In den Wäldern wurden Meiler angelegt und die gewonnene Holzkohle vorwiegend an die aufkommende Eisenindustrie im Siegerland verkauft. Auch das Schälen der Eichenrinde, deren Gerbsäure für die Ledergewinnung Bedeutung hatte, brachte bares Geld für die Bauern, die in dieser Zeit neue Häuser errichteten. Einige dieser Bauten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind erhalten und stellen heute mit ihren schwarz geteerten Fachwerken und weißgetünchten Gefachen typische Kulturdenkmäler unserer Region dar. 

Doch der Erhalt der teils unter Denkmalschutz gestellten Häuser ist kostspielig, oft nicht tragbar. Die Zeit nagt am Bestand und ein Abriss wird vielfach unvermeidbar. Die Erfahrung, dass nichts auf ewig erschaffen ist, mussten Bewohner des Dorfes schmerzhaft erfahren. Altes musste dem Neuen weichen.

 

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Niederwald, nur mit minderwertigen Laubhölzern, wie Eiche und Buchen-Krüppelholz bestanden, nach und nach zu einem nachhaltigen Wirtschaftswald umgewandelt. Die Pflanzung der schnellwachsenden Fichte, angestoßen durch die preußische Regierung, führte ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer langfristigen Veränderung der Landschaft. Die „Verfichtung“ verdrängte den Ackerbau aus den Höhenlagen, da dieser vorher bis an die Waldgrenze betrieben wurde. Die Landschaft war durch viele kleine Parzellen und deren unterschiedlichen Nutzungen bunt und vielfältig, denn die Bauern weigerten sich lange Zeit hartnäckig gegen die Einführung einer „Separation“. Doch diese war nicht aufzuhalten. Um 1930 erreichte eine Flurbereinigung die Zusammenlegung kleinerer zu größeren, für das Beackern günstig geschnittener Landparzellen. Und auch der Bau von Wegen und Brücken erfolgte zum vorteiligen Nutzen der Bauern.  

Erfolg und Misserfolg - Armut und Reichtum

Ansichtskarte um 1920
Ansichtskarte um 1920

Spuren im Gelände, die von Bergbautätigkeiten herrühren, finden sich noch heute. Im späten Mittelalter wurde hier nach Eisenerz gesucht und auch verhüttet, wie eine alte Urkunde es vermuten lässt. Ein späteres Aufleben des Bergbaus im 19. Jahrhundert wurde wegen Erfolglosigkeit aufgegeben und verschuldete die Gescheiterten. Das Erzvorkommen stellte sich als zu unbedeutend heraus. 

 

Manchmal blieben die Abkömmlinge von den Höfen im Dorf. Sie fanden Arbeit als Knecht oder Magd, als Tagelöhner oder als eigenständiger Handwerker. Dorfschmied, Leineweber und Schreiner ergänzten die Dorfgemeinschaft und fanden hier Wohnstätte und Arbeit. Ihr Auskommen reichte oft nicht und so bewirtschafteten sie für den Eigenbedarf etwas Land, hielten Kuh, Ziege, Schaf und Hühner, vielleicht ein Schwein. Die Pacht fürs Land verdingten sie sich bei den Bauern mit ihrer Hände Arbeit. 

Doch oft reichte auch ihr Schaffen nicht für ein auskömmliches Leben. 1852 verkaufte der Leineweber und Tagelöhner namens Blanke sein Haus mit Garten öffentlich an einen Meistbietenden und kehrte mit seiner vielköpfigen Familie der Heimat den Rücken. So wie sie wanderten auch andere Bewohner nach Amerika aus. Vielfältige Schicksale erwarteten sie dort. Von wirtschaftlichem Erfolg in der neuen Welt kann berichtet werden, aber auch von Unglück, Frust und Heimweh und der Rückkehr von Gestrauchelten in ihre alte Heimat. 

 

Brücken bauen und neue Wege gehen

"Land unter" im Juli 2021
"Land unter" im Juli 2021

Bei Schneeschmelze und langanhaltenden Regenfällen führt der Salwey-Bach aufgrund seines großen Einzugsgebiets erhebliche Wassermassen zu Tal. Bei Hochwasser war früher „Land unter“ und das nachbarschaftliche Miteinander erheblich gestört, da die hölzernen Brücken vorzeitig abgebaut oder gar vom Wasser mitgerissen wurden. Als 1862 die Fußbrücke über den Bach einstürzte konnte mit finanziellem Einsatz der Dorfbewohner wenige Jahre später die erste steinerne und somit befahrbare Brücke errichtet werden. 

 

Damit hatte es ein Ende mit der stillen Abgeschiedenheit. Pferdefuhrwerke aus dem oberen Salwey- und dem Marpetal, die auf dem Weg durch das Wennetal zu den bereits vorhandenen Bahnanschlüssen im Tal der Ruhr unterwegs waren, nahmen nun die Abkürzung durch das Dorf. Marketender, die in ihren Korbtragen allerlei mitgeführten Waren feilboten, gingen von Haus zu Haus. Sie waren willkommen, nicht nur wegen ihrer Waren. Die Dorfbewohner erhielten so Nachricht über Neuigkeiten, die die Weitgereisten auf ihren Handelsreisen erfuhren und nur zu gerne verbreiteten. Arbeiter, die ihren Lohn und Brot auf dem Niedereslohe Kupferhammer fanden, durchquerten nun an Werktagen regelmäßig auf Schusters Rappen das Dorf. 

Die Eisenbahn: Nur eine kurze Episode

Um die Jahrhundertwende wurden Pläne für den Neubau einer Eisenbahnlinie von Finnentrop nach Wennemen bekannt. Fest stand von Anbeginn, dass der Streckenverlauf durch Sallinghausen geht, was eher Befürchtungen als Fortschrittsglaube unter den Dorfbewohnern hervorrief. Es folgten unruhige Jahre intensiver Bautätigkeiten die mit der Eröffnung der Bahnstrecke im Jahre 1911 endeten. 

 

Nichts war mehr wie früher in diesem stillen Flecken und der Beginn des ersten Weltkriegs 1914 trug bald das Übrige dazu bei. Die Weltgeschichte fuhr sozusagen auf eisernen Rädern durchs Dorf: Erst waren es die euphorisch jubelnden Soldaten, die ins Feindesland reisten, dann die „Rothosen“, französische Kriegsgefangene auf dem Weg ins Gefangenenlager nach Meschede, dann die Züge voller Kriegsverletzter auf dem Transport in die Lazarette und schlussendlich ein abgehängter Waggon auf den Gleisen, dessen Leichengeruch das Schlimmste erahnen ließ.

Dann kam der zweite Krieg und es zeigte sich erneut die militärische Bedeutung dieser Bahnverbindung; ihre zivile blieb bald danach buchstäblich „auf der Strecke“. 1984 wurde ihr „das Leben ausgehaucht“. Nach kaum mehr als siebzig Jahren wurde sie geschlossen, gehörte sie zum „alten Eisen“. Die Deutsche Bahn hat sich später aller Verpflichtungen entledigt. Ein Nachbar kaufte „günstig“ und wollte Stahl und Schotter mit Gold aufwiegen. Mitten im Dorf stehen noch immer die letzten Zeugen dieser wechselvollen Bahngeschichte: Das einst in Stein gesetzte Viadukt, die angrenzende Stützmauer vom Bahnkörper, aber auch die eiserne Fischbauchbrücke im nahen Wennetal haben bessere Zeiten gesehen. Sie gelten als Altlast und müssten saniert oder beseitigt werden. Gerade holt sich Mutter Natur das zurück, was ihr einst genommen wurde. 

Fünfhundert Jahre Hofgeschichte und dennoch keine Zukunft

Abgewirtschaftet: Die letzten Tage des Schultenhofes
Abgewirtschaftet: Die letzten Tage des Schultenhofes

Nebenan im Dorf klafft eine große Leere. Ich habe mich verabschiedet von einem gewohnten Bild, denn seit der Karwoche 2018 gibt es den Schultenhof in Sallinghausen nicht mehr. Ein Hof, der über Jahrhunderte seinen stolzen Bewohnern Heimat, ein Zuhause, eine Trutzburg und Lebensmittelpunkt war, wurde ausgelöscht. Vor fünfhundert Jahren wurde der Schultenhof erstmals erwähnt. Doch jetzt sollte er keine Zukunft mehr haben, nach einer wechselvollen Hofgeschichte. Als der letzte Eigentümer tot aufgefunden war, wurde der Hof für die gesetzlichen Erben zum Spekulationsobjekt. 

Mit dem Verkauf von Wiesen und Wäldern und dem vollständigen Abriss der abgewirtschafteten Hofstelle wurde das Ende vom Schultenhof besiegelt. Es ist, als ob auf diesem Stückchen Erde niemals Leben stattgefunden hätte, sich nie menschliche Schicksale vollzogen hätten. Wie schnelllebig ist unsere Zeit und wie rasch wird im wahrsten Sinne Gras darüber gewachsen sein und alles in Vergessenheit geraten. 

Die Sünden der Vergangenheit

Mitten durch das Dorf spannte sich 40 Jahre eine Überlandleitung
Mitten durch das Dorf spannte sich 40 Jahre eine Überlandleitung

Die Menschen der sechziger Jahre zeichneten sich aus durch ihren unerschütterlichen Glauben an die Vermehrung des Wohlstandes durch stetiges wirtschaftliches Wachstum. Umweltverschmutzung und Ressourcenverbrauch standen nicht in ihrem Bewusstsein. So ist zu verstehen, dass die Altvorderen im Dorf widerstandslos die Entscheidung der Kommune akzeptierten, hier nacheinander gemeindeeigene Mülldeponien zu etablieren. Erst hier, dann dort, wurden die Gräben entlang der damals noch bestehenden Bahnlinie bis in die 70ger Jahre mit Unrat und Schutt gefüllt. Keine Vorbereitung des Untergrundes, keine Mülltrennung: Ohne Kontrolle wurde hier der anfallende Wohlstandsmüll abgekippt. Die Dorfbewohner akzeptierten klaglos Gestank und Unannehmlichkeiten, denn schließlich bedeckte am Ende Gras den brodelnden Untergrund. Was der Mensch mit seinen fünf Sinnesorganen nicht erfasste, wurde ignoriert und in das Reich der Fabel verwiesen. 

Ein weiteres Beispiel zeigt die Sorglosigkeit der Dörfler. Kaum einer beschwerte sich darüber, als 1968 die VEW ihre 30 KV- Leitung von Meschede nach Eslohe mitten durch unser Dorf spannte. Schließlich wurde großzügig für Mastenstandorte entschädigt und das Unternehmen dankte schriftlich für das gezeigte Entgegenkommen. Abgesehen von der negativ empfundenen visuellen Wahrnehmung, an die sich die Bewohner bald gewöhnten, wurde der nachweislich vorhandene Elektrosmog einer Überlandleitung ignoriert. Ein Aufatmen nach vierzig Jahren, als im Jahre 2008 die Masten abgebaut und durch ein Erdkabel ersetzt wurde. Das ist heute aus mehrfacher Sicht ein Gewinn für unser Dorf.

Ein Wohlfühlort mit Einschränkung

Wir sind heute weit entfernt von den Zeiten als Mann (und Frau) sich noch mit einer Kerze oder Petroleumlampe aufs Plumpsklo zurückzogen. Am Abend des 18. November 1911 erhellte erstmals eine elektrische Glühbirne die Sallinghauser Dorfstraße. Der Mühlenbesitzer hatte mit Hilfe der Wasserkraft eine eigene Stromversorgung geschaffen und stellte diese auch der Nachbarschaft zur Verfügung bis im Februar 1920 das Dorf durch die Überlandzentrale in Bestwig an das öffentliche Stromnetz angeschlossen wurde. Mit dem Einzug der Elektrizität in das Leben der Dorfbewohner vor gut einhundert Jahren wurden auch die Brunnen zugeschüttet. Ein dorfeigenes Leitungsnetz führt seitdem ausreichend frisches Trink- und Brauchwasser in die Haushalte. Nun ist man stolz darüber, dass mit solidarischem Handeln bis heute die Unabhängigkeit vom öffentlichen Versorgungsnetz erreicht wurde. Seit den achtziger Jahren ist der Ort an das Abwassernetz angebunden. Seit kurzem besteht schnelles Internet durch eine Glasfaserleitung der Telekom. Aller Widrigkeiten zum Trotz wurden einige Haushalte an die neu verlegte Erdgasleitung angeschlossen. Eine moderne Infrastruktur macht unser Dorf zu einem Wohlfühlort. Dennoch bestehen auch Wermutstropfen.  

Die Dorfstraße war ein Begegnungsort

Die Dorfkapelle St. Antonius. Davor die Brücke über die Salwey.
Die Dorfkapelle St. Antonius. Davor die Brücke über die Salwey.

Erst Mitte der fünfziger Jahre wurde die Dorfstraße erstmals „geteert“. Bis dahin war grober Schotter der Straßenbelag. Die Straße galt vorrangig für die Nutzung der Dorfbewohner. Über diese wurde das Vieh in die Ställe getrieben und von Pferden gezogene Wagen transportierten über sie die Ernte von den Feldern. Nur selten verirrten sich fremde Fahrzeuge ins Dorf. Die Kinder spielten auf ihr gefahrlos den Gummitwist und kickten den Fußball, machten Seifenkastenrennen und im Winter war Gleitschuhfahren ein Vergnügen. Die Erwachsenen trafen sich auf der Brücke zum nachbarschaftlichen Austausch. Ruhige, gefahrlose und beschauliche Zeiten waren das. 

Unsere Freizeitgesellschaft schafft neue Herausforderungen für unsere Dorfstraße. Sie ist eine Gefahrenzone für Fußgänger und Wanderer geworden und auch der letzte noch aktive landwirtschaftliche Haupterwerber treibt sein Vieh nicht mehr durchs Dorf. Denn an schönen Wochenenden konkurrieren hier Heere von Radfahrern mit dem öffentlichen Nahverkehr, landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Autofahrern, die mehrere Verbotsschilder wissentlich missachten. „Freie Fahrt für freie Bürger“ heißt das Motto und die Anwohner stehen oft kopfschüttelnd vor ihren Haustüren, halten ihre Kinder hinter sicheren Zäunen und Hecken. 

Trotzdem sind die Fremden willkommen, halten diese sich doch an ihr Gastrecht. Buiterlinge, sagte man früher, müssten erst einen Scheffel Salz miteinander gegessen haben, bevor sie dazugehörten. Wer heute dabei sein möchte und kein Fremder im Dorf bleiben will, stellt sich beim Dorffest mit in die Runde, gibt Einen aus und bringt sich ein in dörfliche Aktivitäten. 

Panorama: Radfahrer auf der Dorfstraße. Gegenüber die ehemalige Hofstelle vom Schultenhof
Panorama: Radfahrer auf der Dorfstraße. Gegenüber die ehemalige Hofstelle vom Schultenhof

Gemeinsam tragen

Mitten im Dorf von buntem Herbstlaub umgeben steht die 1954 neu erbaute Kapelle.
Mitten im Dorf von buntem Herbstlaub umgeben steht die 1954 neu erbaute Kapelle.

Schon der Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 läutete eine Zeitepoche ein, die Spuren in den Familien hinterließen. An die Gefallenen zweier Weltkriege erinnert eine Gedenktafel in der St. Antonius- Kapelle. Der Abriss der alten Dorfkapelle, deren Erbauung vor dem Dreißigjährigen Krieg zu vermuten ist, und ihr unter großen Mühen und Opfern erfolgter Neubau im Jahre 1954, zeugen von einem dörflichen Zusammenhalt in schwerer Zeit und einem gemeinschaftlichen Willen Zukunft zu gestalten. 

 

Die Lebenssituation, das ländlich geprägte Dorfleben der Bewohner unterschied sich in Sallinghausen nicht von dem anderen Orte im Sauerland. Es war eine funktionierende Gemeinschaft, bedingt durch das Bewusstsein der Menschen, dass sie alle voneinander abhängig waren. Gerade in Not und schlechten Zeiten war der Beistand und die Hilfe der Nachbarn unerlässlich. Ein tief verwurzeltes Lebensgefühl, ein Gefühl von Sicherheit brachte die Einsicht, dass man sich auf die Hilfe der anderen dann verlassen konnte. Diese „Gutnachbarlichkeit“ war ein ungeschriebenes Sozialgesetz, das nur der Lebenswirklichkeit unterstellt und von der Not geschrieben war, die jeden ausnahmslos treffen konnte. Es gab keine wechselseitige Aufrechnung von Ansprüchen und Gegenansprüchen untereinander. Wenn sich die Notwendigkeit ergab, entstand Nachbarschaftshilfe in jeglicher Form. 

Es hat sich etwas verändert

Erholsames Wohnen im "Hinterhof": Landwirtschaft war einmal!
Erholsames Wohnen im "Hinterhof": Landwirtschaft war einmal!

Die meisten Bewohner des Dorfes sind von ihrem Wesen her keine Großstadt-Menschen. Wer auf dem Land geboren wurde und dort aufgewachsen ist, spürt dass er hier hingehört und fühlt sich mit seiner Heimat und dem Dorf verbunden. Dennoch ist seit langem eine Veränderung, gar eine Auflösung des ländlich-dörflichen „Eigengeistes“, eine Anpassung an städtische Lebensformen, an den allseits propagierten Zeitgeist zu erkennen. Denn es möchte kein „Dörfler“ als Hinterwäldler gelten, als schlichter einfacher Landmensch. Und so lebt er angepasst in einer von der Gesellschaft propangierten Lebensart. Und angepasst ist auch sein Umfeld, das Dorf. 

 

Erkennbar verschieben sich die Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft. Familie, Partnerschaft, Kariere, Erfolg und Wohlstand, Umwelt und Ökologie werden neu definiert, führen zu einem Umdenken. Wer es sich leisten kann, sucht auf dem Land Entschleunigung von der lauten Hektik der Stadt und des stressigen Berufslebens. Er entflieht der Stadt, die doch angeblich so viel zu bieten hat, wie kulturelle Events, Kunstausstellungen, Musik-Veranstaltungen, Nachtleben in Bars und in exklusiven Etablissements. 

 

Vieles ist derzeit im Fluss, neue Einsichten greifen Platz auch bei den Dörflern. Es ist eine zögernde Akzeptanz, doch letztlich besteht die Einsicht:

 

 "Das Dorf ist tot, das alte Dorf; - aber es lebt das Dorf der Gegenwart!“